Zurück
Theater + Text

Die deutschsprachige Theaterszene

Die deutschsprachige Theaterlandschaft ist geprägt durch die Vielfalt ihrer Systeme: Stadt- und Staatstheater, Freie Szene und Privattheater arbeiten unterschiedlich, befruchten sich aber durchaus auch gegenseitig.

Ein Überblick über Strukturen und Arbeitsweisen. 

Deutschland

von Ulrike Syha

Neben Stadt- und Staatstheatern und Landesbühnen (oft unter dem Begriff „Stadttheater“ subsumiert) gibt es in Deutschland eine kontinuierlich wachsende Freie Szene sowie eine große Anzahl von Privat- und Tourneetheatern.

Während die Stadttheater im Normalfall über feste Häuser und Ensembles verfügen, setzt sich die Freie Szene aus Gruppen und Kollektiven zusammen, die teilweise langfristig, teilweise nur auf Projektbasis zusammenarbeiten und ihre Arbeiten an freien Produktionshäusern und anderen wechselnden Spielorten entwickeln und präsentieren. Die Privat- und Tourneetheater hingegen arbeiten meist im En-Suite-Betrieb mit eigens für die jeweilige Produktion engagierten Gästen. Nicht zu unterschätzen ist außerdem der Bereich des Amateurtheaters und die Entstehung von Bürger:innen-Bühnen und ähnlichen Formaten, bei denen die Theater versuchen, die Stadtgesellschaft aktiv in die Stückentwicklung einzubinden.

Die unterschiedlichen Theatertypen mit ihren spezifischen Produktionsbedingungen existieren jedoch nicht völlig losgelöst voneinander. Besonders im personellen Bereich und in den künstlerischen Diskursen sind die Grenzen zunehmend fließend. 

Laut dem Deutschen Bühnenverein (dem Bundesverband der öffentlichen und privaten Träger der deutschen Theater und Orchester) arbeiten an den rund 140 deutschen Stadttheatern unterschiedlicher Größe um die 39.000 Mitarbeiter:innen, hinzu kommen Gäste und Selbständige, die den Theatern frei zuarbeiten, wie Regisseur:innen, Bühnen- und Kostümbildner:innen, Theaterautor:innen und -übersetzer:innen. Die Zahl der Privattheater wird mit etwa 200 angegeben, zuzüglich der „etwa 600 Gastspielhäuser und um die 400 Tourneetheater- und Gastspielproduzenten ohne festes Haus“ (INTHEGA, Stand 12/2020).

Wie aber kommt es zu dieser hohen Theaterdichte?

Im 18. Und 19. Jahrhundert befanden sich auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik zahlreiche Kleinstaaten, Herzogtümer und anderen Aristokratien. Die Herrschenden betrieben Theater zum Zweck der eigenen Repräsentation, als Ausdruck ihrer Machtfülle und Affinität zur Kultur. In der Folge trat ein erstarkendes Bürgertum auf den Plan und entdeckte das Theater als unabhängige, von der Zensur unbehelligte Institution für sich, die dem Nationalgedanken verpflichtet war und der kulturellen Bildung diente. Die Bürgerschaft fungierte von nun an immer häufiger selbst als Träger von Theatern oder Orchestern.

Das hat dazu geführt, dass in Deutschland bis heute nicht nur die Metropolen, sondern oft auch kleinere Städte über eigene Theater verfügen, die beinahe täglich bespielt werden. Ein Stadt-Land-Gefälle ist sicher zu verzeichnen, aber es gibt keine so große Konzentration auf Hauptstadt und Metropolregionen wie in anderen europäischen Ländern.

Das Stadttheatersystem ist bis heute stark durch einen Repertoirebetrieb und feste Ensembles geprägt. Gezeigt werden fast jeden Tag andere Produktionen, von denen sich manche über mehrere Spielzeiten im Programm halten können. Ein häufig vorkommendes Merkmal ist auch die Bündelung mehrerer Sparten unter einem Dach (Schauspiel, Musiktheater, Tanz, manchmal auch Kinder- und Jugendtheater oder andere Sparten), in der Form von Mehrspartenhäusern, die meist jeweils eine eigenverantwortliche künstlerische Leitung haben.

Bei allen staatlichen Fördermaßnahmen, besonders aber bei der Subventionierung der Stadttheater, spielt die föderale Grundstruktur der Bundesrepublik Deutschland eine wesentliche Rolle. Kultur ist in Deutschland fast ausschließlich Aufgabe der Länder, nicht des Bundes. Die Länder verfügen über die so genannte „Bildungs- und Kulturhoheit“; Stadttheater werden daher oft zur Hälfte von den Ländern und Kommunen getragen.

Die beiden Nationaltheater Deutschlands, das Nationaltheater Mannheim und das Nationaltheater Weimar, tragen diesen Namen aufgrund ihrer historischen Verbindung zu den deutschen Dichtern Schiller und Goethe, unterscheiden sich aber in Funktion und Aufbau ansonsten nicht von den anderen Stadttheatern.

Die Vielfalt der deutschen Theaterszene ist eine Besonderheit. Bei der UNESCO wurde daher ein Antrag gestellt, sie als „Immaterielles Weltkulturerbe“ einzustufen. Die Entscheidung steht derzeit (2023) noch aus

Eine weitere Besonderheit der deutschsprachigen Theaterszene ist die starke Position der Dramaturg:innen. An den Stadttheatern sind diese meist festangestellt und bestimmen gemeinsam mit dem jeweiligen Leitungsteam Programm und Ausrichtung der Häuser. Außerdem begleiten sie Produktionen dramaturgisch, pflegen den Kontakt zu Verlagen und Autor:innen und arbeiten ggf. an der Entstehung neuer Texte mit. Wie viele Dramaturg:innen an einem Theater beschäftigt sind, varriert stark je nach Größe und Finanzbudget des Hauses. Auch in der Freien Szene sind Dramaturg:innen meist Teil der künstlerischen Produktionsteams.

Wie aber ist es nun innerhalb der beschriebenen Strukturen um den zeitgenössischen Theatertext und seine Autor:innen bestellt?

An belastbare Zahlen zu kommen, wie viele Uraufführungen (UAs) und Deutsche Erstaufführungen (DEs) pro Spielzeit über die Bühne gehen, ist nicht ganz einfach. Was genau unter einer Uraufführung verstanden wird, ob Romanbearbeitungen, Neufassungen älterer Texte, Musikprogramme oder andere Formate dabei mitgezählt werden oder nicht – dazu gehen die Meinungen oft auseinander. Uraufführungen in der Freien Szene oder solche, die in Österreich, der Schweiz und an anderen deutschsprachigen Theatern stattfinden, sind außerdem in viele der vorliegenden Schätzungen nicht integriert. Theaterautor:innen arbeiten aber, wie die meisten anderen Theaterschaffenden auch, im gesamten deutschsprachigen Raum. Im Theaterbereich ist der Austausch zwischen den Ländern eng, die Region wird als ein durch die gemeinsame Sprache geprägter Kulturraum begriffen.

Dementsprechend gibt es ein vielfältiges, stetig wachsendes Angebot an zeitgenössischen Theatertexten, das in seiner Bandbreite nur schwer zu erfassen ist, obwohl (oder vielleicht gerade weil) diese Bandbreite Wesensmerkmal der Texte ist.

Neben Theatertexten, die sich als dramatische Literatur begreifen, stehen gleichberechtigt dokumentarische Formen, Stückentwicklungen mit Ensembles und performative Ansätze. Ästhetiken, Genres und Stoffe mischen sich auf jede erdenkliche Weise.

Auf den Spielplänen der Stadttheater konkurrieren Gegenwartstexte heutzutage mit meist tantiemenfreien Klassikern und Klassikern der Moderne, sowie zunehmend auch mit anderen Projektformen. Trotz der Vielzahl der entstehenden Texte bleiben Uraufführungen auf großen Bühnen eher die Ausnahme, die meisten finden auf kleineren Spielstätten statt. Ein Nachspiel – also die Neu-Produktion eines bereits uraufgeführten Textes an einem anderen Ort durch ein anderes künstlerisches Ensemble – war Anfang des Jahrtausends noch durchaus gängig, ist in den letzten Jahren aber immer seltener geworden. Ursachen hierfür liegen in der Fokussierung der Theater auf die Uraufführung, aber auch in Sparzwängen und der Theaterarchitektur besonders der großen Häuser, die nicht für jede Textform uneingeschränkt geeignet ist.

Eine direkte Einbindung von Schreibenden in den Theaterbetrieb, im Rahmen einer Hausautor:innenschaft oder Autor:innen-Residenz, ist in Deutschland eher selten; Schreibwerkstätten und andere Formate, die der Förderung des zeitgenössischen Theatertextes dienen, werden von den Theatern hingegen recht häufig vorangetrieben.

Besonders in der Freien Szene, wenn auch nicht nur dort, hat sich in der jüngeren Vergangenheit ein extrem offen gefasster Begriff von Autor:innenschaft etabliert: Das führt wiederum zu neuen Projektformen und Programmen, die das bereits vorhandene Angebot weiter ergänzen.

Außerdem werden Themen wie Nachhaltigkeit, Diversität und Barrierefreiheit in Zukunft sicher weiter eine große Rolle spielen, wie auch die Auseinandersetzung mit den oft immer noch hierarchischen Leitungs- und Arbeitsmodellen an vielen Theatern sowie die Erschließung neuer, im besten Fall heterogenerer Publikumsgruppen.

Österreich

von Claudia Tondl

In Österreich gibt es vergleichsweise ähnliche Strukturen wie in Deutschland, was Häuser einerseits und die freie Theater-, Tanz- und Performance-Szene andererseits betrifft. Auch hier existieren die unterschiedlichen Theatertypen mit ihren spezifischen Produktionsbedingungen nicht völlig losgelöst voneinander und die Grenzen im personellen Bereich sowie in den künstlerischen Diskursen sind ebenso zunehmend fließend. Dramaturg:innen haben auch hier eine starke Position an den Häusern.

Anders als in Deutschland gibt es in Österreich ein sehr starkes Gefälle zwischen Wien als Land und Bundeshauptstadt und den anderen acht Ländern. So sind neben den großen Bundestheatern, u.a. dem Burgtheater als inoffizielles Nationaltheater, ebenfalls große Privattheater sowie die Vereinigten Bühnen Wien mit ihren zwei Musicalhäusern und einem Opernhaus Mitglieder des Wiener Bühnenvereins. Zudem gibt es in der Bundeshauptstadt zahlreiche freie Produktionshäuser mit unterschiedlichen Kapazitäten und Schwerpunkten, die von einer kontinuierlich wachsenden und starken freien Theater-, Tanz- und Performance-Szene bespielt werden.

Diese Vielfalt findet sich auch in den Bundesländern, allerdings in zahlenmäßig kleinerem Ausmaß. Neben freien Produktionshäusern und einer jeweils regionalen freien Szene gibt es in allen Bundesländern, auch wenn es die Namensgebung in manchen Fällen nicht auf den ersten Blick vermuten lässt (z.B. Stadttheater Klagenfurt), Landestheater, die überwiegend als Mehrspartenhäuser mit verschiedenen Direktionen (Schauspiel, Oper/Operette/Musical, Ballett/Tanz) geführt werden.

Zudem gibt es mit den Salzburger und Bregenzer Festspielen sowie den Wiener Festwochen drei große renommierte Festivals, die im Bereich der Darstellenden Kunst nicht nur in der deutschsprachigen Theaterszene, sondern international hohe Aufmerksamkeit erfahren.

Diese österreichische Theaterstruktur mit ihrem Hauptstadt-Länder-Gefälle bildet sich auch in dem vom Wiener Bühnenverein jährlich vergebenen NESTROY Theaterpreis ab, dort werden u.a. "Beste Bundesländer-Aufführung", "Beste Off-Produktion" und "Beste Aufführung im deutschsprachigen Raum" als eigene Kategorien nominiert.

Im Selbstverständnis als Kunst- und Kulturnation Österreich sind an der Kulturfinanzierung und –subventionierung, anders als in Deutschland, nicht nur die Länder, sondern auch der Bund wesentlich beteiligt.

 

Claudia Tondl

Claudia Tondl schreibt Theatertexte und entwickelt in künstlerischen Kollaborationen Projekte für die Bühne sowie sitespezifische Performances und Formate im öffentlichen Raum. Im Kollektiv tondlhaas beschäftigt sie sich mit nachhaltigen narrativen Prinzipien sowohl in theatralen Inszenierungen als auch im Feld der performativen Interventionen und Installationen. | 

Schweiz

von Maria Ursprung

Die Theaterlandschaft Schweiz ist von der Vielsprachigkeit und einer grossen Unterschiedlichkeit der Bühnen und Ästhetiken auf sehr kleinem Raum geprägt. Gewachsen ist die heutige Struktur gewissermassen zwischen «zentralen Bühnen und abgelegenen Tälern» (Peter Michalzik: «100 Jahre Theater Wunder Schweiz», Theater der Zeit, 2020). Nebst institutionalisierten Bühnen und der Freien Szene gibt es noch heute eine lebendige Tradition des Volkstheaters und der Festspiele wie beispielsweise das Welttheater Einsiedeln oder die Tellspiele. Gespielt wird dabei meist auf Mundart unter der Beteiligung von Laien.

Erste Theatergebäude entstanden in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, im 19. Jahrhundert entstanden in verschiedenen Städten sogenannte Aktientheater, die entweder bestehende Theaterbauten bezogen oder neue errichteten. In den grösseren Städten etablierten sich Theaterunternehmer mit festen Ensembles, in kleineren organisierten die Besitzer einen Gastspielbetrieb. Der monetäre Druck und die Konkurrenz war gross und die Truppen waren gezwungen, sich in Stückauswahl stark am Publikumsgeschmack zu orientieren. Grössere künstlerisch Autonomie erlangten die Theater, als sie den Schritt vom Pacht- zu Regiebetrieben machten mithilfe städtischer Theaterkommissionen und Subventionen, womit auch ein Bildungsauftrag verbunden war.

Die professionelle deutschsprachige Theaterlandschaft Schweiz gleicht gegenwärtig personell und strukturell derjenigen Deutschlands, ist allerdings überschaubarer: Der Schweizerische Bühnenverband vereinigt 17 Betriebe in der Deutschschweiz und einen im Fürstentum Liechtenstein. Daneben gibt es diverse freie Bühnen, die in unterschiedlichen Modellen sowohl eigene Produktionen realisieren als auch Gastspiele einladen. Die Theaterlandschaft Deutschschweiz hat einen hohen Grad an Vernetzung, bei dem Diversifizierung und Ausbau als gemeinsame Aufgabe im Zentrum steht. Bei den subventionierten Stadttheatern und in der Freien Szene spielt die föderale Grundstruktur der Kantone und Städte eine wichtige Rolle. Der Umfang der Kulturförderung ist regional sehr unterschiedlich. 

Dramatiker:innen überwinden in der Regel Landesgrenzen und sind in der gesamten deutschsprachigen bzw. französischsprachigen Theaterlandschaft tätig. Die meisten Texte werden auf Hochdeutsch verfasst, seltener gibt es auch schweizerisch-dialektale Neue Dramatik, deren Grenzen zum Spoken-Word meist fliessend sind. Verschiedene Netzwerke und Förderprogramme wie das Stück Labor Basel, das Schweizer Theatertreffen und nicht zuletzt Pro Helvetia schaffen immer wieder Gefässe, um den Austausch von Schreibenden und Theaterschaffenden unterschiedlicher Landessprachen zu fördern, da die Sprachregionen unterschiedlich funktionieren und sich in der Arbeit nicht zwangsläufig verbinden. 

Maria Ursprung

Maria Ursprung ist Dramatikerin und Regisseurin, sie schreibt Theaterstücke und Hörspiele. Ab der Spielzeit 22/23 ist Ursprung Teil der Co-Leitung des schweizerischen Tourneetheaters Theater Marie

Suche