Praxis
Verbände und Mitgliedschaften
Von Friederike von Criegern
Übersetzer:innen sind zwar in der Regel Soloselbständige, aber dennoch nicht allein in der Berufswelt. Es gibt eine Reihe für Literatur- und/oder Theaterübersetzer:innen relevante Verbände und Institutionen. Wo Sie am besten andocken, wird auch von Ihrer Schwerpunktsetzung abhängen: Auch die Berufsverbände für Dramatiker:innen könnten interessant sein.
„Der Berufsverband der Literaturübersetzer:innen und damit auch der Theaterübersetzenden ist der VdÜ - Verband deutschsprachiger Übersetzer/innen literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. Der VdÜ „gehört als „Bundessparte Übersetzer/innen” zum Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS), mit diesem ist er Teil des „Fachbereichs Medien, Kunst und Industrie in ver.di“. “Der VdÜ vertritt die Interessen von Literaturübersetzerinnen und –übersetzern in der Öffentlichkeit sowie gegenüber ihren Vertragspartnern und deren Verbänden. Insbesondere bemüht er sich um die öffentliche Anerkennung ihrer Leistungen und um die Verbesserung ihrer rechtlichen und ökonomischen Situation, indem er z.B. mit den Verwertern von Übersetzungen über Mindeststandards bei Vertragsgestaltung und Honorierung verhandelt. Die derzeit über 1200 Mitglieder des VdÜ erhalten Rat und Unterstützung in allen beruflichen Fragen, auch bei Vertragsabschlüssen, in Versicherungs- und Rechtsangelegenheiten. Seit 1968 veranstaltet der VdÜ eine Jahrestagung, die seit 2004 in Wolfenbüttel bei Braunschweig stattfindet.“ (Quelle: VdÜ)
Voraussetzung der Mitgliedschaft im VdÜ ist die Veröffentlichung mindestens einer in einem regulären Verlag erschienenen Übersetzung in Buchform mit ISDN-Nummer, die nicht durch eigene Geldmittel erkauft sein darf, oder die veröffentlichte Übersetzung von Zeitschriftenbeiträgen, Theaterstücken, Hörspielen, Filmuntertitelungen etc. in vergleichbarem Umfang. Wer diese Voraussetzungen noch nicht erfüllt, kann für die Phase des Berufseinstiegs Kandidat:in beim VdÜ werden.
Außerdem gibt es regionale Verbände wie etwa das Münchner Übersetzer-Forum.
Es ist möglich, in mehreren Verbänden Mitglied zu sein.
Im größten Berufsverband für Übersetzende in Deutschland, dem BdÜ: Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer, sind vorwiegend in nicht künstlerischen Bereichen tätige Dolmetscher:innen und Übersetzer:innen organisiert, auch Gebärdendolmetscher:innen sind oftmals hier Mitglied. Voraussetzungen sind ein einschlägiger Berufsabschluss oder ein entsprechendes Hochschulstudium oder Nachweis langjähriger Berufspraxis. Auch Studierende eines translatorischen Studiengangs können die Mitgliedschaft im BdÜ beantragen.
In Österreich sind die Literaturübersetzer:innen in der IG Übersetzerinnen und Übersetzer organisiert, Pendant zum BDÜ wäre in Österreich etwa der Berufsverband für Dolmetschen und Übersetzen Universitas.
Die Künstlersozialkasse (KSK) ist die Sozialversicherung für selbständige Künstler:innen und Publizist:innen, also auch für Literaturübersetzer:innen. KSK-Mitglieder zahlen nur 50% der gesetzlichen Beiträge zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, den „Arbeitgeberanteil” zieht die KSK bei Verwertern und beim Bund ein und überweist beides an eine frei wählbare gesetzliche Krankenkasse und die Bundesagentur für Arbeit. Wer die Tätigkeit des/der Literaturübersetzer:in selbständig und hauptberuflich ausübt und damit mindestens 3900 € jährlich verdient, darf sich bei der KSK anmelden. Grundlage für die Beitragshöhe ist das von den Versicherten selbst geschätzte voraussichtliche Jahreseinkommen. Nähere Informationen erhalten Sie auf der Website der KSK und bei der Beratung durch mediafon.
In Österreich können (müssen?) sich Übersetzer:innen als Selbständige bei der SVS versichern. Wenn man dort Sozialversicherungsbeiträge zahlt und als Künstler:in anerkannt ist – was für literarische Übersetzer:innen möglich ist –, kann man sich diese vom Künstlersozialversicherungsfonds KSVF teilweise rückerstatten lassen.
Die VG Wort, also die „Verwertungsgesellschaft Wort“ ist ein Verein, der die Nutzungsrechte und Vergütungsansprüche von Autor:innen (im weiteren Sinne) verwaltet. Wie für Buchkäufe fallen auch für Bibliotheksausleihen oder Fotokopien urheberrechtlich geschützter Texte Tantiemen an. Die Einnahmen werden jährlich in einer über Ausschüttungsquoten ermittelten Höhe an die Urheber:innen und Verlage ausgeschüttet. Voraussetzung dafür ist ein Wahrnehmungsvertrag, den der/die Urheber:in einmalig mit der VG Wort abschließt, sowie die Meldung der Titel bis zum 31. Januar des auf die Publikation folgenden Jahres. (Im Bereich Wissenschaft gelten etwas andere Regeln.) Es gibt eine Hauptausschüttung im Sommer sowie ggf. Nebenausschüttungen.
Die Einkünfte aus diesen Ausschüttungen gelten steuerlich als Einnahmen: Wer umsatzsteuerpflichtig ist, muss auch für diese Einkünfte 7% Mehrwertsteuer abführen. Die VG Wort vergibt auch Druckkostenzuschüsse und ggf. (zum Beispiel zu Pandemiezeiten) Stipendien. Das Autor:innenversorgungswerk zahlt außerdem an einmal an registrierte Urheber:innen auf Antrag einen einmaligen Zuschuss zur Altersvorsorge.
In Österreich nimmt die literarmerchana als Verwertungsgesellschaft die Rechte an Sprachwerken auch für Übersetzer:innen wahr.
Sie unterhält auch einen Sozialfonds zur Unterstützung österreichischer Schriftsteller:innen und Übersetzer:innen.
Verwertungsgesellschaften für Dramatiker:innen in der Schweiz sind die Société Suisse Acteurs SSA und die ProLitteris, die nebst der Urheberrechte ihrer Mitglieder auch diejenigen ausländischer Schwestergesellschaften wahrnimmt. Beide Verwertungsgesellschaften verfügen über einen Solidaritätsfonds, um Mitglieder im Falle akuter Not zu unterstützen.
Zusammenarbeit mit Verlagen und Theatern
Wie kommt eine Übersetzung auf die Bühne? Es gibt verschiedene Wege der Zusammenarbeit, die sich hauptsächlich darin unterscheiden, wer die Übersetzung beauftragt. Im folgenden Abschnitt werden einige Grundlagen besprochen, die vor allem die formale Ausgestaltung der jeweiligen Zusammenarbeit betreffen, u.a. zu Rechten und Honoraren.
In allen Fällen ist es zu empfehlen, die Eckpunkte des Auftrags schriftlich zu fixieren. Zu bevorzugen ist der Abschluss eines Übersetzungvertrags, aber auch die Verschriftlichung im Nachgang zu einem Telefonat ist möglich. Auch mündliche Absprachen zwischen Auftraggeber und Übersetzer:in stellen bereits eine Art formlosen Vertrag dar: Wenn sie beispielsweise nach einem Telefonat formlos verschriftlicht werden, hat man eine erste Grundlage. Darin kann festgehalten sein, was schon besprochen wurde (zum Beispiel Abgabetermine und Zusage beider Seiten, zusammenarbeiten zu wollen), aber dann auch, was bitte noch geklärt werden sollte - besser ist aber ein Vertrag.
Auftraggeber für eine Theaterübersetzung sind im deutschsprachigen Raum im Wesentlichen Theaterverlage, seltener auch Theater- und Produktionshäuser oder auch freie Gruppen. Theaterverlage üben – anders als Belletristik-Verlage – eigentlich die Tätigkeit von Agenturen aus, die die deutschsprachigen Aufführungsrechte vertreten. In Einzelfällen werden diese direkt vom Theater vermarktet, dazu mehr hier.
Beide Formen haben Vorteile. Mitarbeiter:innen der Theaterverlage haben einen hervorragenden Überblick über die Theaterlandschaft und die aktuellen thematischen Interessen. Sie werden deshalb den Text entweder breitflächig anbieten oder aber eine punktgenaue und ggf. strategische Vermarktung betreiben. Die Chancen auf Vermittlung sind bei einem Verlag größer.
Ein Vorteil des Theaters als Auftraggeber liegt darin, dass das Stück wenigstens einmal tatsächlich gespielt wird, denn das Theater beauftragt nur Übersetzungen für bereits fest geplante Inszenierungen.
Bei beiden Modellen sind die Parameter, wie z.B. Abgabefristen, frei verhandelbar. Eine feste Säule ist (in der Regel) ein Honorar in Form eines nicht rückzahlbaren Vorschusses auf Tantiemen.
Zusammenarbeit mit einem Verlag
Übersetzt man ein Theaterstück im Auftrag eines Verlags – egal, ob der Verlag auf den/die Übersetzer:in zugekommen ist oder als Initiativprojekt –, unterscheidet sich die Übersetzungspraxis, abgesehen von Vertragsdetails und den Modalitäten des Honorars, nur bedingt von der Übersetzung eines belletristischen Textes.
Die Zusammenarbeit gestaltet sich zunächst schwerpunktmäßig zwischen dem/der Übersetzer:in und dem/der Lektor:in im Verlag, die anderen Akteur:innen – Autor:in des Stücks, Agent:in, Theater / Dramaturgie / freie Gruppe – stehen zunächst oder gar nicht in Kontakt zum/zur Übersetzenden.
Das heißt, der/die Übersetzer:in übersetzt das Stück in Schriftform, das Manuskript wird fristgerecht beim Verlag abgeben und dann lektoriert und im Zusammenspiel von Lektorat und Übersetzer:in optimiert. Der fertige Text wird in den Katalog des Verlags aufgenommen und Theatern angeboten und beworben.
Unabhängig vom Vermittlungserfolg wird der Tantiemenvorschuss als Honorar bezahlt:
Der Tantiemenvorschuss ist nicht rückzahlbar, er wird in der Regel mit den Tantiemen verrechnet, das sollte alles im Vertrag festgehalten werden. Der Vorschuss kann etwa bei 1.000 Euro oder bei schwierigen oder besonders umfangreichen Stücken auch bei 1.500 Euro liegen (jew. zuzüglich Umsatzsteuer). Seltener – und meist nur dann, wenn neben dem Verlag ein Theater die Übersetzung mitfinanziert – gibt es auch ein Auftragshonorar (in frei verhandelbarer Höhe, nicht verrechenbar, nicht rückzahlbar).
Beteiligung bedeutet: Der/die Übersetzer:in erhält für die Übersetzung des Werks eine Beteiligung von beispielsweise 20 Prozent an allen beim Verlag eingehenden Tantiemen aus den vorher genannten (und vertraglich festgelegten) Nutzungsrechten. Im Vertrag wird festgehalten, wie viel der eingehenden Einkünfte des Auftraggebers anteilig an den/die Übersetzer:in weitergereicht werden; üblich ist eine Aufteilung von 60 (Autor:in) / 20 (Verlag) / 20 (Übersetzer:in). Bei gemeinfreien Autor:innen liegt der Anteil der Übersetzer:innen deutlich höher, zum Beispiel bei 75 Prozent.
Die Höhe der Urheberabgabe richtet sich nach der Kategorie des Hauses. Wie viele Tantiemen tatsächlich fließen, richtet sich dann nach der Zahl der tatsächlich verkauften Eintrittskarten, der Saalgröße und der Zahl der Aufführungen. Die genauen Regelungen finden sich in der zwischen dem Verband Deutscher Bühnen und Medienverlage und dem Deutschen Bühnenverein geschlossenen Regelsammlung Bühne.
Auch wenn die Übersetzung bereits vorliegt, weil man sie bspw. für ein Theater angefertigt hat und sie vielleicht einmal von Dritten bezahlt wurde, sollte ein Vorschuss verhandelt werden. Der Vorschuss kann dann als eine Art Lizenzgebühr verstanden werden: Jede Nutzung ist exklusiv, und ein/e Übersetzer:in kann das Stück nicht nutzen – also anderweitig anbieten und spielen lassen –, wenn ein Verlag diese Rechte bereits innehat. Auch pauschale Honorare können in bestimmten Fällen sinnvoll sein, sind aber die Ausnahme.
Kommt das Stück auf den Spielplan eines Hauses, verhandelt der Theaterverlag mit dem Theater die Nutzungsrechte, die die Rechte des/der Übersetzer:in wahren. Er rechnet auch mit dem Theater ab und informiert den/die Übersetzer:in bspw. in Form von Honorargutschriften über die eingehenden Tantiemen. Ist der Vorschuss eingespielt, können weitere Beteiligungen ausgezahlt werden.
Wenn das Stück also bei einem Theater gespielt werden soll, kann der/die Übersetzer:in hinzugezogen werden, etwa um als Kenner:in des Stücks und Urheber:in der deutschen Textfassung diesbezügliche Fragen der Dramaturgie zu klären oder mit dem Ensemble Kontext- oder Sprachfragen zu besprechen. Wenn der/die Übersetzer:in dazu bereit ist, kann ein solcher Hinweis auch dem Verlag als vermittelnde Instanz gegeben werden.
Möglicherweise gibt es auch weitergehendes Interesse an der Übersetzung außerhalb des Theaters, weshalb sämtliche eingeräumte Rechte – etwa für Radio, Publikation des Textes bspw. in Buchform etc. – mit dem Verlag festgehalten werden sollten.
Wenn die Rechte nicht oder nicht mehr genutzt werden, ist es grundsätzlich möglich, sie zurückzurufen – um sie dann einem anderen Lizenznehmer anzubieten.
Übersicht Theaterverlage
Hier findet man eine Übersicht der deutschsprachigen Theaterverlage.
Zusammenarbeit mit einem Theater
Im Prinzip kann sich die Zusammenarbeit mit einem Theater / einer freien Gruppe ähnlich gestalten, die wesentlichen Unterschiede liegen meist in der Vergütung, in der Rechte-Erteilung und im Überarbeitsprozess der Textfassung. Anders als bei einer von einem Verlag in Auftrag gegebenen Übersetzung ist in diesem Fall eine Aufführung des Stücks meist sicher geplant.
Es fehlt bei diesem Modell die Rolle des/der Lektor:in. Ggf. wird der Text aber noch nach einer ersten Probenfassung gemeinsam mit der Produktionsdramaturgie weiterbearbeitet. Auch eine Teilnahme des/der Übersetzer:in an den (Lese-)Proben ist möglich.
Zu den vertraglich zu vereinbarenden Säulen gehören (wie beim Verlag) mindestens ein verrechenbarer, nicht rückzahlbarer Vorschuss auf Tantiemen; ein zusätzliches Auftragshonorar ist durchaus möglich, wenn auch nicht durchgehend praktiziert.
Kommt es zur Aufführung, werden Tantiemen (2 % von der Abendkasse, netto und ggf. zuzüglich Umsatzsteuer, mit Tantiemenvorschuss verrechenbar) gezahlt. Wichtig ist, dass im Vertrag genau formuliert wird, für welche Produktion die Rechte überlassen werden. Eine Weitergabe an Dritte darf nur in Rücksprache mit dem/der Übersetzer:in erfolgen, weitere potentielle Nutzer:innen müssen also für die Nutzung der Rechte eine eigene vertragliche Vereinbarung mit dem/der Übersetzer:in schließen.
Im Vertrag kann zu den Nutzungsrechten festgelegt werden, bis wann der Lizenznehmer (also das Theater) diese innehat, das kann durch einen Zeitraum und/oder eine Anzahl von Aufführungen bestimmt werden. Umgekehrt kann bei Beauftragung durch ein Theater eine Art exklusiver Lizenz in Form von zeitlichen Klauseln an dieses Haus vergeben werden. Dabei empfiehlt es sich, festzulegen, bis wann die Premiere (voraussichtlich) stattzufinden hat – sonst kann eine Lizenzierung an Dritte gestattet werden. (Sie muss auch vorher gestattet sein, d.h. der/die Übersetzer:in darf bereits vorher mit anderen Häusern oder einem Verlag über das Werk verhandeln und die Rechte im Anschluss an die Phase der Exklusivrechte auch vergeben; die folgenden Produktionen dürfen aber nicht vor der Premiere oder der Gesamtzahl der vereinbarten Aufführungen gezeigt werden!)
Im Zuge aktueller pandemiebedingter Absagen ist es wichtig, dass mitgedacht wird, dass sehr viele Produktionen gar nicht zustande kommen und die Tantiemen selbst bei stattfindenden Vorstellungen wegen Platzbeschränkungen teilweise nur bei einem Viertel liegen. Daher ist wesentlich, dass dieser Tantiemenvorschuss nicht zurückgezahlt werden muss, auch nicht bei Vorstellungsausfall.
Nach der deutschsprachigen Erstaufführung ist es sinnvoll, sich einen Verlag zu suchen, der sich künftig um die Rechte kümmert – denn die Verlage kennen die Theaterlandschaft und können gezielt nach weiteren Spielorten suchen, damit sich der Vorhang nicht dauerhaft senkt.
Übersetzen im Produktionsprozess
Theaterübersetzen im Kontext alternativer Stückentstehungsprozesse
von Miriam Denger
Der Weg auf die Bühne und von dort ins Publikum fällt für Theatertexte sehr unterschiedlich aus. Sie entstehen im stillen Kämmerlein oder bei szenischen Improvisationen, bei Proben oder live während einer Vorstellung. Mit einer sich in den letzten Jahrzehnten immer stärker auffächernden Vielfalt der Theaterformen geht auch eine Verschiebung des Begriffs der Autor:innenschaft einher. Texte sind nicht mehr selbstverständlich die eine übergeordnete Instanz, in deren Dienst sich alle anderen Elemente stellen, sondern eine gleichberechtigte Bedeutungsebene unter vielen. Als Schöpfer:innen konkreter Theaterabende gelten dabei meist Regisseur:innen, nicht mehr notwendigerweise Dramatiker:innen.
Wie können Theaterübersetzer:innen sich dabei in den unterschiedlichen Entstehungsprozessen, Arbeitswelten und Produktionsabläufen positionieren? Welche Möglichkeiten zur Begegnung zwischen Übersetzer:innen und dem Medium, für das sie schreiben, gibt es, welche wären denkbar, welche wünschenswert?
Theater versuchen seit längerem, Autor:innen stärker an ihre Häuser zu binden, sei es durch Hausautor:innenschaften oder Aufenthaltsstipendien – Modelle, die sich unter dem Oberbegriff „Writers in Residence“ zusammenfassen lassen. Müsste es dazu analog nicht auch den „Translator in Residence“ geben? Nach verstetigten, institutionalisierten und auch für die Theater werbewirksamen Programmen für Übersetzende am Theater sucht man zwar vergeblich, dennoch gibt es immer wieder einzelne, individuell sehr interessante Arbeitskonstellationen dieser Art.
Was können Theater und Theaterübersetzer:innen im direkten Kontakt voneinander lernen? Wie unterscheidet sich das Übersetzen am heimischen Schreibtisch vom Übersetzen im Zentrum des Geschehens, der Theaterprobe? Dieser Frage soll anhand eines Praxisbeispiels nachgegangen werden:
Im Februar 2018 bekamen ein kubanisches Autorenduo aus Havanna und ich, eine deutsche Übersetzerin, den Auftrag ein Stück für das jährlich stattfindende Sommerspektakel am Theaterhaus Jena zu schreiben bzw. zu übersetzen – eine völlig neues Stück zum über hundert Jahre alten Mythos vom Untergang der Titanic. Das Theaterhaus bildet eine Schnittstelle zwischen Stadttheater und freier Szene, sein expliziter Auftrag zum künstlerischen Experiment mit zeitgenössischen Formen der Theaterästhetik verleiht ihm eine Sonderstellung innerhalb der deutschen Theaterlandschaft.
Im April 2018 treffen wir mit ersten Entwürfen in der Tasche in Jena ein, wo wir bis zur Premiere im Juli bleiben, um die „heiße Phase“ des Schreibens, Übersetzens und Probens gemeinsam vor Ort zu verbringen, in engem Kontakt mit Regie- und Produktionsteam. Gleich am ersten Tag besichtigen wir die Open-Air-Spielstätte, den Theatervorplatz. Seine Größe und der Umgebungsgeräuschpegel erfordern den Einsatz von Mikroports und Videoprojektion, doch auch mit dieser technischen Verstärkung werden leise Zwischentöne es eher schwer haben – eine Erkenntnis, die wir Textschaffenden von Anfang an berücksichtigen müssen. Neben dem regulären Schauspielensemble werden sowohl internationale Gäste mit auf der Bühne stehen als auch Laiendarsteller:innen aus der Stadt Jena selbst und ihre jeweiligen Sprachen mitbringen: vom Thüringer Dialekt bis zum afrokubanischen Yoruba. Wie schon auf der historischen Titanic ist auch auf der Bühne eine bunte Mischung verschiedener Sprachen zu erwarten.
Wie gestaltet sich nun der Arbeitsalltag eine:r Übersetzer:in am Theater? In Jena warte ich zunächst noch auf die Texte der Autoren, die noch geschrieben werden, und nutze die Zeit, um das Ensemble besser kennenzulernen. Zum Konzept gehört, dass die Autoren, die nicht zum ersten Mal in Jena arbeiten, den Schauspieler:innen die Rollen „auf den Leib schreiben“. Also schaue auch ich mir möglichst viele Vorstellungen mit den künftigen „Titanic“-Darsteller:innen an, studiere Sprech- und Spielweisen, Sprachmelodien, Gesten, das körperliche Spiel. Wenig später, als ich mit dem Übersetzen erster Szenen beginne, haben die Figuren in meinem Kopf bereits konkrete Gesichter und Stimmen. Doch auch ich als Stückübersetzerin, sonst meist nur ein Name auf dem Textbuch, bekomme für die Schauspieler:innen und Theatermitarbeiter:innen plötzlich ein Gesicht. Meine Arbeit wird wahrgenommen, und das Interesse daran ist tatsächlich groß.
Zeitlich arbeiten die Autoren und ich eng verzahnt: ist ein grober Szenenentwurf fertig, beginne ich mit dem Übersetzen. Dadurch fehlen mir zunächst noch Handlungs- und Spannungsbögen, dramaturgische Entwicklungen und Figurenkontexte – ich bin gezwungen, mich ausschließlich auf die Dynamik der jeweiligen Szene und deren Grundsituation zu konzentrieren. Die endgültige Reihenfolge der Szenen steht noch nicht fest, viele Texte werden von den Autoren noch mehrmals überarbeitet. Flexibilität und eine gewisse Frustrationstoleranz sind gefragt, ein abwägendes Vorausschauen, welche Texte bis zur endgültigen Fassung „überleben“ werden und welche nicht – welche ich also schon komplett ausarbeite und welche ich zunächst nur „anübersetze“. Die Autoren sind sich nicht immer untereinander einig, und auch mich beschäftigt die Frage, wie ich ihre unterschiedlichen Stile im Deutschen zueinander in Beziehung setze – angleichen oder kontrastieren? Zum Glück lassen sich all diese Punkte direkt vor Ort besprechen.
Diese Nähe sowie die Chance, gemeinsam mit professionellen Schauspieler:innen übersetzte Texte schnell und unkompliziert testen zu können, ist ein unschätzbar großer Vorteil dieser Arbeitsweise. Morgens bekomme ich eine neue Szene, am Tag darauf lese ich mit den Darsteller:innen im Theatercafé die ersten Entwürfe der Übersetzung. Im Anschluss kann ich mit Beobachtungen, Notizen und Tonaufnahmen des Treffens weiterarbeiten.
Kehrseite der Medaille ist eine starke Abhängigkeit der Übersetzer:innen von der Zuverlässigkeit und der Arbeitsgeschwindigkeit der Autoren: Überziehen sie ihre Deadlines, bleibt weniger Zeit zum Übersetzen. Tritt dieser Fall ein, wird es notwendig, pragmatische Kompromisse zu finden – was für den/die Übersetzer:in bedeuten kann, die eigenen Ansprüche an die Qualität auch mal herunterzuschrauben. Hilfreich können im Vorfeld entwickelte Strategien für effektives Arbeiten unter hohem Zeitdruck sein, dazu gehört auch, den gesamten „Theaterapparat“ für sich zu nutzen: die Dramaturgie in Recherchen miteinbeziehen, zugezogene Lektor:innen frühzeitig darauf einstimmen, dass sie den Text erst in letzter Minute erhalten werden und dann schnell lesen müssen, sich mit der Theaterleitung über weitere Möglichkeiten abstimmen. Nicht nur Regieteam und die Schauspieler:innen warten ungeduldig auf die fertige Stückübersetzung, auch die Arbeit anderer Abteilungen wie z.B. der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit hängen oftmals davon ab. Als Abgabetermin gilt meist die Konzeptionsprobe, wenn alle Beteiligten zusammenkommen und die Schauspieler:innen den fertigen Text zum ersten Mal gemeinsam lesen.
In der sich anschließenden Probenphase ändert sich mein Aufgabenfeld: Texte wollen gekürzt und überarbeitet werden, neu hinzukommende neu übersetzt, die Texte für die Laiendarsteller:innen vereinfacht. Ich dolmetsche Presseinterviews mit kubanischen Gastkünstler:innen, bereite Übertitel vor (für alle Darsteller:innen, die auf der Bühne eine andere Sprache als Deutsch sprechen werden), souffliere während der Proben den spanischen Text für die spanischsprachigen Darsteller:innen. Gerade in interkulturellen Proben- und Kommunikationsprozessen können Übersetzer:innen, Dolmetscher:innen oder mehrsprachige Produktionsbeteiligte eine wichtige Hilfe sein, insbesondere dann, wenn sie sich in beiden aufeinandertreffenden Theaterkulturen auskennen.
An deutschen Theatern fällt alles, was mit Text zu tun hat, ins Dramaturgie-Ressort, dadurch ergeben sich große Überschneidungen der Arbeitsfelder von Dramaturg:innen und Übersetzer:innen. Wie fruchtbar eine konkrete Zusammenarbeit sich in der Praxis tatsächlich entwickelt, hängt von der Chemie beider involvierter Persönlichkeiten ab - und von den Freiräumen, die bei hoher Arbeitsbelastung und vollen Terminkalendern noch bleiben. Inwiefern Übersetzer:innen weitere Aufgaben im Proben- und Produktionsprozess übernehmen (etwa das Dolmetschen von Gesprächen, die Mitarbeit am Programmheft, das Übersetzen weiterer Texte etc.) ist individuell verschieden, doch bei allen im Vorfeld nicht vereinbarten Tätigkeiten lohnt sich die Frage nach den vorhanden Kapazitäten der Übersetzer:innen – und natürlich nach einem angemessenen, zusätzlichen Honorar.
Am Premierentag gibt es einen Wolkenbruch, gespielt wird trotzdem. Die Mikroports werden nass, fallen unter lautem Knacken immer wieder aus, viele der in den Wochen zuvor entstandenen Texte sind an diesem Abend gar nicht zu hören. Durchgängig laut rauscht im Hintergrund der Regen. Doch zu welchem Theaterstück passt solches Wetter besser als zu „Titanic“... ? Theater ist immer für den Moment, ist nie ganz planbar.
Fazit: Sowohl Theater als auch Übersetzer:innen (im vorgestellten Fall auch Autor:innen) profitieren von einer oder einem „Translator in Residence“, beide können sich und ihre Arbeit gegenseitig besser kennenlernen. Besonders da, wo im Rahmen kollektiver Arbeitsprozesse mehrsprachige Theatertexte entstehen, z.B. für internationale Festivals, ist es ein großer Gewinn, sämtliche Aspekte der Übersetzung und Sprachmittlung von Anfang an konsequent mitzudenken und einzuplanen.
Selbstverständlich sind neben der Zusammenarbeit an konkreten Projekten noch viele weitere Formen der Kooperation denkbar: Theater könnten Räume und Ressourcen bereitstellen, regelmäßige Werkstätten ausrichten, Dramaturg:innen, Dramatiker:innen, Übersetzer:innen und Schauspieler:innen in Co-Workingspaces oder zu Testleserunden zusammenbringen. Übersetzer:innen wiederum können eine wertvolle Wissensquelle für Dramaturg:innen sein, was z.B. die aktuelle Situation in den Ländern betrifft, aus denen Übersetzer:innen übersetzen, welche neue Autor:innen und Stücktexte es dort gibt, können Künstler:innen vermitteln und Kontakte herstellen. An die Theater, ihr Übersetzer:innen!
Miriam Denger
Miriam Denger studierte Angewandte Theaterwissenschaft und Romanistik in Gießen und Pamplona (Spanien). Nach langjähriger Tätigkeit als Dramaturgin und Theaterpädagogin an Stadt- und Staatstheatern lebt sie heute als freiberufliche Autorin sowie als Übertitlerin und Übersetzerin spanischsprachiger Dramatik. Zu den von ihr übersetzten Autor:innen gehören u.a. Rogelio Orizondo Gómez, Yunior García Aguilera, Fabio Rubiano Orjuela und Agniezka Hernández Díaz.
Übersetzung und Kritik
von Anna Opel
Das literarische Übersetzen hat in der Kritik keine allzu große Lobby, das gilt sowohl für den Theater- wie für den Prosabereich. Ausnahmen gibt es aber zum Glück auch. Darauf wollen wir aufbauen.
Eine kursorische Suche bei Nachtkritik nach den Stichworten „Deutschsprachige Erstaufführung“ oder „Übersetzung“ ergibt, dass Übersetzung ein beliebtes Bild für die Mise en Scène ist: die Regie übersetzt ein Stück in die Gegenwart, die Zukunft, ins Phantastische oder in die Welt der Finanzmärkte. Die Übersetzung im engen Sinn – als Transfer von einer Ausgangssprache in eine Zielsprache – wird in Kritiken höchst selten beschrieben. Das hat viele Gründe. Der Platz der Printmedien für Feuilleton schrumpft stetig, ebenso wie im Feuilleton der Platz für Theaterkritiken. Und wenn eine Kritik erscheinen darf, ist so viel anderes zu beschreiben, was wichtiger, deutlicher ist für Publikum und Kritik: Die Handlung, die Leistung der Akteur:innen, die Ästhetik, die Musik, die Inszenierung als Gesamtkunstwerk. Es geht um das, was zu sehen ist. Außerdem ist die Qualität einer literarischen Übersetzung für Laien schwer zu beurteilen. Sprachkenntnisse sind meist höchstens im Englischen und Französischen vorhanden, auch sie wären eine Voraussetzung, überhaupt qualifiziert Kritik üben zu können.
Trotzdem: Theater ist Ort der literarischen Sprache, Theaterstücke sind Arbeit an und mit der Sprache. Daher überrascht es schon, wie selten Sprache Thema von Kritik wird. Hinzuhören, das wäre die Voraussetzung, Übersetzungen wahrzunehmen. Und manchmal passiert es, dass Kritiker sie tatsächlich wahrnehmen: Begeistert ist Christian Muggenthaler auf Nachtkritik von Jerusalem, einem Stück des britischen Drehbuchautors und Dramatikers Jez Butterworth. Am Theater Augsburg wurde es im September 2022 inszeniert. „In ganz starker Sprache – und starker Übersetzung durch Michael Raab – wird hier inmitten eines auf den ersten Blick zerplatzten Traumes eine zweite, in sich viel stabilere Wirklichkeit gezeigt.“ In seiner Nachtkritik zu Alice Birchs [Blank] – im März 2022 am Staatstheater Karlsruhe inszeniert – moniert ein Kritiker, ihre Sprache sei akademisch und entspreche nicht der Sprache der dargestellten Personen. Hat er ins Original geschaut? Kein Wort darüber, dass er sich auf Repliken bezieht, die übersetzt wurden. Aber es geht noch unsichtbarer: Im Kasten der Nachtkritik zur umjubelten deutschsprachigen Erstaufführung von Matthew Lopez Das Vermächtnis am Residenztheater München fehlt im Januar 2022 der Name des Übersetzers Hannes Becker. Ist sich der Kritiker darüber bewusst, dass er ein amerikanisches Stück in deutscher Sprache gesehen hat?
Einerseits ist es vielleicht verständlich, dass Übersetzungen oft übersehen werden. Well-Made-Plays aus dem angelsächsischen Raum sind nicht gerade für ihre Poesie oder ihre lyrischen Sprachbilder bekannt. Dennoch sind Dialoge, also gesprochene Sprache das Mittel, mit dem die Figuren gegeneinander antreten. Sie sind witzig, böse, scharf, konventionell, langatmig oder temporeich. Auch das sind Qualitäten von Sprache, Merkmale eines bestimmten Stils, die beinahe systematisch übersehen werden. Auch Prominenz hilft nicht, um die Aufmerksamkeit auf das Thema Übersetzung zu lenken. Im Fall der DSE von Tom Stoppards Stück Leopoldstadt am Wiener Theater in der Josefstadt hat die Tatsache, dass der renommierte Schriftsteller Daniel Kehlmann mit der Übersetzung beauftragt wurde, den Nachtkritiker nicht dazu verleitet, etwas zur Sprache des Textes oder zur Übersetzung zu sagen.
Ein Kritiker der Deutschen Bühne fragt anlässlich der DSE von Anne Carson Bitch, I am a Goddess „ob die Fabel gewinnt oder verliert, wenn sie sowohl von der Autorin Anne Carson als auch in der Bearbeitung der Übersetzerin Maria Milisavljevic in entscheidenden Passagen recht gewaltsam auf Alltagsniveau nivelliert wird – sprachlich sowieso, aber auch gedanklich“. Raten Sie, zu welchem Ergebnis er gekommen ist. Ob der Autor dieser Zeilen sich die Mühe gemacht hat, Original und Übersetzung zu vergleichen, geht aus der Beschreibung nicht hervor.
Es wäre vermutlich höchstens bei Übersetzungen aus dem Englischen möglich, den Zugriff und die Leistung einer Übersetzerin nachzuvollziehen. Und das zu tun, wäre mit erheblichem zusätzlichem Aufwand verbunden. Im Prinzip wünschenswert, aber nur im Ausnahmefall umsetzbar. „Aber so eine Prüfung setzt voraus, dass es einen das Tagesgeschäft berührenden Relevanzdruck gibt oder womöglich krasse Auffälligkeiten in der vorliegenden Übertragung, die einen doch mal zum Original greifen lassen“, so Christian Rakow, Redakteur von Nachtkritik. Das Tagesgeschäft des Kritikers verlangt Fokus, Tempo, Konzentration auf das Wesentliche. Jedenfalls hierzulande. Im angelsächsischen Raum würde die Übersetzung eher Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Dort steht der Text im Fokus des Interesses und nicht die Regie.
Und so leben wir literarischen Übersetzer:innen mit einem Paradox. Je besser und überzeugender wir unsere Arbeit machen, umso weniger wird unsere Leistung bemerkt. Guten Synchronisationen und schnellem Internet geht es ähnlich. Wie zu jeder Regel, gibt es auch zu dieser Ausnahmen. Diese freuen uns sehr. Die Kritikerin Burgit Hörttrich vermutet im Westfalen-Blatt anlässlich der DSE von Keimzellen, einem Stück der kanadischen Autorin Rebecca Déraspe im November 2022 bereits im ersten Absatz ihrer Besprechung, die Standing Ovations am Theater am Alten Markt in Bielefeld hätten wohl auch der Übersetzerin Gerda Poschmann-Reichenau gegolten. Denn, so schreibt Hörttrich, „ihr ist es gelungen, die Nuancen, den Witz, die Tiefe des Originals ins Deutsche zu transportieren.“ Und Elisabeth Meier schreibt in ihrer Kritik zur deutschsprachigen Erstaufführung von Hir von Taylor Mac in Theater der Zeit im Januar 2023: „Auf Macs Achterbahnfahrt zwischen Humor und tragischen Momenten lässt sich die Übersetzerin Lisa Wegener ... ein. Der Titel des Stücks zieht die englischen Personalpronomen ‚him‘ und ‚her‘ zusammen. Damit verweist Taylor Mac, der sich selbst ‚Judy‘ nennt, auf sein eigenes Leben in der nicht-binären Welt. Gender-Sternchen interessieren den 49-Jährigen nur am Rande.“
Na also, es geht doch! Manchmal schauen Kritiker:innen bei englisch- und französischsprachigen Originaltexten dann doch ins Skript und machen sich ein Bild davon, ob die Übersetzung gelungen ist oder nicht. Die derart gewertschätzte Übersetzerin Poschmann-Reichenau vermutet, Übersetzungen fielen wohl nur dann auf, wenn ein Werk sprachlich äußerst herausfordernd sei. Die Schwierigkeit, die Alltagssprache darin treffend zu übersetzen, werde dagegen regelmäßig übersehen. Zu Unrecht. Denn was leicht aussieht, ist oft schwieriger als das offensichtlich Herausfordernde: Dialoge müssen derart von einem Kulturkreis in den anderen übertragen werden, dass Inhalt, Rhythmus, Tonalität und Atmosphäre des Originals in der Zielsprache stimmen. In der Theaterwelt, wo viele Gewerke um Aufmerksamkeit konkurrieren, hat diese Kunst oft keine Lobby. Dabei wissen Akteur:innen in den Theatern und Verlagen sehr wohl, dass es Unterschiede gibt und dass diese Unterschiede erheblichen Einfluss darauf haben können, wie ein Stück aufgenommen wird. Je wichtiger und bedeutender ein Autor oder Autorin ist, umso wichtiger ist es auch, den richtigen Übersetzer oder die richtige Übersetzerin dafür zu finden. Fremdsprachige Autor:innen oder deren Agenturen informieren sich oft im Vorfeld über das Portfolio der Person, die mit der Übersetzung beauftragt werden soll und prüfen, ob die Klasse stimmt. Und sie tun gut daran, denn eine schlechte Übersetzung kann ein Stück behäbig wirken lassen, sie kann den falschen Ton anschlagen, Sinnebenen unterschlagen. Ob ein Text gut im Mund liegt, ob er ähnlich witzig, kraftvoll und bildreich ist wie das Original, ob glatt oder krude, ob seine intertextuellen Bezüge und Anspielungen flirren und – last but not least – ob aus ihm heraus plastische, wahrhaftige Figuren entstehen können, all das liegt an den Antennen und Fähigkeiten, am Einfallsreichtum der Übersetzer:innen, an ihren Worten und Sätzen. Das Was und das Wie sind miteinander verschränkt. Im Theaterstück macht die gesprochene Sprache die Gesamtheit des Textes aus. Anders gesagt: die Figuren sind Sprache, sie bestehen aus ihr.
Hello, is it me your looking for? In seiner Geschichte als Theaterübersetzer sei das Höchste der Gefühle gewesen, dass sein Name in Klammern neben dem der Autorin gestanden habe, berichtet der Autor und Übersetzer Matthias Naumann. Es sei die Regel, dass Theater bei Stückankündigungen schlicht vergessen, ihre Namen zu erwähnen, geben die allermeisten Theaterübersetzer:innen zu Protokoll. Kein böser Wille. Vielerorts fehlt es an Bewusstsein für Kunst und Handwerk der Übersetzung. Es fehlt an Bewusstsein dafür, dass die Übersetzung ein zentraler Aspekt für die Wahrnehmung eines fremdsprachigen Textes ist. Und wenn schon die Theater dafür kein Bewusstsein haben, ist es kein Wunder, dass die Kritik das Thema Übersetzung oft ignoriert.
Ist es ist also unser Los, mit unserer Arbeit, unserem Anteil an der gelungenen Aufführung unter dem Radar der Häuser und der Kritik zu bleiben? Kolleg:innen nehmen es mit Humor oder sie haben resigniert. Der Verein Drama Panorama: Forum für Übersetzung und Theater setzt sich mit vielfältigen Veranstaltungen und Debatten für die Sichtbarkeit der Arbeit von Theaterübersetzer:innen ein. Die Branche wird immer internationaler, Mehrsprachigkeit ist auf der Tagesordnung, und der Bedarf an kompetenter und sensibler Sprachmittlung wächst stetig. Wir wünschen uns, dass Theater und Kritik unsere Arbeit mindestens insoweit würdigen, dass sie unsere Namen nennen.
Der Vergleich mit dem Prosafach zeigt ein ähnliches Bild. Auch hier kommt Übersetzungskritik höchst selten über das Klischee der „kongenialen“ Übersetzung hinaus. Die Würdigung gehört zum guten Ton, aber es fehlt an Kenntnissen, Platz oder Zeit, sich tatsächlich mit der Übersetzung zu befassen. Schon erstaunlich, denn literarische Übersetzer:innen haben erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Weltliteratur. Man traut uns zu, dass wir die richtige Stimmlage finden, die richtigen Entscheidungen treffen, dass wir die Feinheiten eines Werkes vermitteln. Die Brüder Karamasow sind eben nicht von Fiodor Dostojewskj, sondern von Fiodor Dostojewskj/Swetlana Geier. Ulysses ist nicht von James Joyce, sondern von James Joyce/Hans Wollschläger. Der Titel von Karl Ove Knausgårds berühmter autofiktionaler Reihe Min Kamp wurde aus guten Gründen nicht ins Deutsche übertragen. Ohne seinen Übersetzer Paul Berf hätten wir Knausgårds Texte anders gelesen. Auch die Übersetzungen haben wiedererkennbare Eigenarten. Wie bekannte Schauspieler:innen ihre Synchronstimmen beibehalten, so sorgen die Verlage dafür, dass eine bestimmte Autorin von der Stimme ihrer Übersetzer:in übertragen wird. Man bleibt beisammen.
Der Internationale Literaturpreis – Haus der Kulturen der Welt, Preis für übersetzte Literaturen – trägt dem Rechnung, indem er seit 2009 zu beinahe gleichen Teilen an Autor:in und Übersetzer:in verliehen wird.
Im Theaterbereich war Neue Stücke aus Europa in Sachen Übersetzung die rühmliche Ausnahme unter den Festivals. Die Übersetzung der eingeladenen europäischen Stücke wurde in Wiesbaden als eigenständige Leistung gewürdigt, prämiert vom Wiesbadener Kurier. „Irina Bondas hat nicht nur Circo Ambulante von Andrej Mogutschij/Maxim Isajew aus dem Russischen übersetzt und diese Übersetzung simultan auf dem Festival gesprochen, ihre Vorab-Fassung einer Synopse hatte auch ermöglicht, dass ein Besuch des Gastspiels an dessen Heimatort Moskau für Mitglieder der deutschen Festivalleitung erfolgreich verlaufen konnte.“ Das war im Jahr 2012, dieses Festival gibt es leider nicht nicht.
Wenn es um Übertitel und Simultandolmetschen im Theaterbereich geht, ist das Unverständnis noch grundsätzlicher. Sehr oft wird die Sprachmittlung im Aufführungskontext nicht als Leistung wahrgenommen, schon gar nicht als eigenständige oder gar künstlerische. Im Gegenteil gilt sowohl das Übertiteln als auch das Synchrondolmetschen dem Publikum und dem Theaterbetrieb oft als gesichtslose, maschinelle Prozedur, als lästiges, unvermeidliches Störgeräusch zwischen Kunstwerk und Rezipientin. Dies berichten Irina Bondas und Kolleginnen von ihrer Arbeit als Synchron-Dolmetscherinnen und Übertitlerinnen am Theater. Ein Kritiker hatte anlässlich eines Gastspiels des Moskauer Gogol Theaters mit einer Inszenierung von Kirill Serebrennikov am DT im Jahr 2018 bemängelt, dass man sich gegen Übertitel und für das synchrone Einsprechen entschieden habe. Offenbar vorausgesetzt ist die Tatsache, dass hier ein erheblicher Aufwand getrieben wurde, um ihm den Theaterabend zugänglich zu machen.
Yvonne Griesel, langjährige Theaterübersetzerin und Übertitlerin berichtet, dass sie sich mit einigem Aufwand gegenüber der Künstlersozialkasse dafür eingesetzt hat, dass das Übertiteln von Inszenierungen als künstlerisches Berufsfeld anerkannt wurde. Lange Briefe waren nötig und die Übermittlung ihrer selbst verfassten Bücher Welttheater verstehen und Die Inszenierung als Translat. Der Aufwand hat sich gelohnt. Seitdem werden auch Übertitlerinnen in die KSK aufgenommen und ihre Arbeit damit als künstlerische Erwerbsarbeit gekennzeichnet. Zu Recht: Menschen, die übertiteln, erstellen oft überaus sorgfältig, mit sehr viel Berufserfahrung und teilweise unter erheblichem Stress in den letzten Tagen vor der Premiere eine Fassung, passen diese bis kurz vor der Premiere der Inszenierung an und „fahren“ die Titel bei den Vorstellungen live. Und auch Simultandolmetschen – angewandt, wenn in Stücken improvisiert wird – muss akribisch vorbereitet werden. Das Einsprechen erfordert Erfahrung in Sachen Timing, in der Anpassung ans Geschehen auf der Bühne. Das alles erntet in der Regel wenig Anerkennung, hat schon gar nicht den Nimbus der Kunst. „Um am Unverständnis des ganzen Betriebes gegenüber unserer Arbeit etwas zu ändern, braucht es sehr viel Initiative von Einzelpersonen“, sagt Griesel. Hier und da renne sie auch offene Türen ein, trifft gelegentlich auf Dramaturg:innen, die durchaus verstehen, wie wichtig gute Übersetzungen und qualitiv hochwertige Übertitel für das Gelingen einer Aufführung sind. Aber das sind bisher Einzelne. Es muss noch sehr viel passieren auf diesem Gebiet.
Anna Opel
Anna Opel, geboren 1967 in Limburg/Lahn, war nach dem Studium Geschichte und Theaterwissenschaft Dramaturgie-Assistentin am Deutschen Theater Berlin. Als Theaterübersetzerin überträgt sie seit 2001 die Texte preisgekrönter Dramatiker wie Tracy Letts, David Ives, David Lindsay-Abaire und Christopher Durang in die deutsche Sprache. Außerdem schreibt sie Kritiken und Essays für Theater der Zeit, Die deutsche Bühne, die NZZ, die Berliner Zeitung und das Missy Magazine. Als Schriftstellerin schreibt und produziert sie Audiowalks und Bücher, im Oktober 2020 erschien im unabhängigen Verlag edition.fotoTAPETA recherche HAUSHOFER. Annäherung an den Autor der Moabiter Sonette. Anna Opel wurde mit mehreren Arbeitsstipendien sowie dem Gottsched-Stipendium des Deutschen Übersetzerfonds ausgezeichnet.