Szene Türkei
Theaterübersetzer:innen stehen in der Türkei auf dem Plakat
Gespräch mit Ebru Tartıcı Borchers
Ebru Tartıcı Borchers lebt seit 2015 in Deutschland und Österreich und arbeitet als Regisseurin und Übersetzerin aus dem Deutschen ins Türkische. Sie hat Stücke von Caren Jeß, Jörg Menke-Peitzmeyer, Ursula Kohlert, Lukas Bärfuss, Lot Vekemans und Roland Schimmelpfennig übersetzt. Mit Corinna Popp sprach sie über die Rezeption deutschsprachiger Dramatik in der Türkei.
Corinna Popp: Welche aus dem Deutschen übersetzten Theaterstücke werden in der Türkei gespielt? Und spielen deutschsprachige Stücke auch im universitären und schulischen Kontext eine Rolle?
Ebru Tartıcı Borchers: Für deutschsprachige Stücke gab es in der türkischen Theaterszene schon immer großen Raum. An staatlichen und privaten Theatern und auch an den Universitäten. Vor allem Dürrenmatt und Brecht waren über die Zeit hinweg durchgängig präsent. Es hat sich ein bisschen verändert, weil die politische Stimmung gerade alles prägt und die Theater teilweise jedes Wort hinterfragen müssen. Während Dürrenmatt sonst an staatlichen Häusern viel gespielt wurde, ist er jetzt eher in privaten Theatern zu sehen. Brecht hat durch den zeitlichen Abstand und seinen Platz in der Literatur diesen Safe Space von Klassiker-Privileg. Deswegen kann man Brecht immer noch auf großen Bühnen inszenieren, ohne gleich die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich zu ziehen.
Zeitgenössische Stücke wurden früher erst nach circa 20 Jahren übersetzt. Das hatte damit zu tun, dass Theaterübersetzungen in der Türkei nicht wie in Deutschland auf Anfrage entstehen, sondern die Übersetzer:innen quasi den Markt der nächsten Jahre bestimmen. Wir suchen uns Stücke aus und übersetzen sie. Und sobald ein neues Stück übersetzt ist, gibt es einen Mechanismus, die Häuser und Theatermacher:innen werden informiert, dass es ein neu übersetztes Stück gibt und dannlesen sie das. Und da die Übersetzer:innen bis vor zehn, fünfzehn Jahren vor allem in der Türkei lebten und dort Theater machten, gab es immer so eine Zeitverzögerung, bis sie überhaupt von dem und dem neuen Stück gehört haben. Mittlerweile ist es häufig der Fall, dass die Übersetzer:innen im Ausland sind, wie ich, und deshalb kommt die Gegenwartsdramatik etwas schneller in die Türkei. Die Autor:innen, die am bekanntesten sind oder am meisten gespielt werden sind zur Zeit Marius von Mayenburg, Roland Schimmelpfennig, Lukas Bärfuss und Moritz Rinke. Caren Jeß ist auch gut aufgenommen worden.
Dass Dürrenmatt und Brecht die meistgespielten deutschsprachigen Autoren sind, verwundert erstmal. In Deutschland wird Dürrenmatt gar nicht so viel gespielt.
Das stimmt, aber tatsächlich wurde fast alles von ihm ins Türkische übersetzt, und zwar von unterschiedlicher Übersetzer:innen, also nicht nur durch einen Kanal. Und nach wie vor. Als ich mit 18 auf die Schauspielschule kam, war er auch schon einer von denen, den alle kennen und spielen und mögen. Und jetzt ist das halt genauso. Ich habe das Gefühl, sein Humor ist einem türkischen politischen schwarzen Humor sehr nahe. Und wenn die Politik mit Zensur und allem Möglichen kommt, muss man andere Mittel finden. Zu Dürrenmatt könnte man Yücel Erten befragen, einen der wichtigsten Regisseure in der Türkei, der ihn auch übersetzt hat.
Weißt du im Kopf welche Stücke von Brecht oder Dürrenmatt in den letzten Jahren auf großen Bühnen gespielt worden sind?
Von Brecht auf jeden Fall „Der Kreidekreis“, „Arturo Ui“, „Die Kleinbürgerhochzeit“ und „Mutter Courage“, das sind die, die immer wieder ihren Platz finden, glaube ich. Von Dürrenmatt gibt es gerade sogar fünf unterschiedliche Inszenierungen… Moment, ich sag dir das gleich … „Der Besuch der alten Dame“, „Der Mitmacher“, „Frank der Fünfte“, „Die Physiker“ und „Justiz“.
Auf welcher Seite guckst du das nach?
Das ist ein riesiges Portal, auf dem alles gelistet ist, was in der Türkei gerade gespielt wird: https://tiyatrolar.com.tr/
Du hast gesagt, die Übersetzer:innen bestimmen selbst, welche Stücke sie übersetzen. Das ist hier eher ungewöhnlich. Ich übersetze quasi immer im Auftrag eines Verlags oder einer Inszenierung. Wenn ich was aus Eigeninitiative übersetze, kriege ich dafür erstmal kein Geld.
So ist das auch. Wir werden erst bezahlt, wenn die Übersetzungen gespielt werden oder als Buch herausgegeben werden, was auch manchmal vorkommt, wenn von einem Autor oder einer Autorin fünf oder sechs Stücke übersetzt wurden. Aber wenn du an den Text glaubst, hast du das Gefühl, er wird schon seinen Platz finden. In der Türkei werden Theaterstücke auch oft von Theatermacher:innen übersetzt, von Regisseur:innen, Schauspielerinnen oder Dramaturg:innen. Und wir wissen, das kann morgen rauskommen oder auch erst in zehn Jahren. Aber es ist halt etwas, das zur Literatur gehört und bleiben wird. Man hat dadurch etwas für den eigenen Namen gemacht oder einfach so, für die Seele.
Und für mich und einige andere, die im Ausland leben, ist das auch die Chance, weiter ein Teil der türkischen Theaterszene zu bleiben. Ich übersetze erst seit drei Jahren, aber ich habe in der Zeit neun neue Ensembles kennengelernt, weil sie meine Übersetzungen gespielt haben. Das gibt mir das Gefühl, immer noch Teil der Community sein zu können. Wir stehen in der Türkei auf dem Plakat, Theaterübersetzung ist in der Türkei eine riesige Sache, was ich auch total fair finde, und ich denke in Deutschland sollte es auch so sein. In der Türkei ist es üblich, dass auf den Plakaten drei Namen stehen: Autor:in, Übersetzer:in und die Regie.
Du hast vorhin von einem Mechanismus gesprochen, durch den die Kollektive oder Ensembles von einer Übersetzung erfahren. Ist das ein Portal? Oder verschickst du es per Mail an deine Kontakte?
Der Verlag, mit dem ich zusammenarbeite, ist einer der größten für ins Türkische übersetzte internationale Stücke und fast jedes Ensemble hat mit denen schon mal was gemacht. Man kann sich für einen Email-Verteiler anmelden. Aber das ist nicht so wie die Newsletter von Theaterhäusern in Deutschland, sondern wenn ich heute eine Übersetzung abgebe, bekommen sie morgen eine Email, dass es jetzt zum Beispiel von Caren Jeß „Knechte“ gibt. Bei vielen meiner übersetzten Stücke habe ich schon so nach einer Woche die Email bekommen, dass ein Haus das inszenieren möchte. Und das ist deswegen so schnell gewesen, weil sie durch diese Email von dem Verlag informiert wurden und das Stück am nächsten Tag schon gelesen hatten.
Und hast du das Gefühl, es gibt eine Entwicklung oder eine Tendenz, dass es jetzt mehr deutschsprachige Autor:innen gibt, die gespielt werden? Oder hat es seit Erdogan abgenommen?
Durch die politische Stimmung entsteht in der Türkei gerade ein neues Theater oder insgesamt eine neue Perspektive, das hat unterschiedliche Aspekte. Zum Beispiel liest und inszeniert man jetzt mehr Texte von türkischen Autor:innen. Einerseits, weil sie besser mit Tricks umgehen können, wie sie etwas auf die Bühne bringen können, indirekt, ohne die Zensur abzubekommen, weil sie über die aktuelle Lage natürlich detailliert Bescheid wissen, und andererseits auch noch wegen der Finanzkrise, weil wenn du Texte von türkischen Autor:innen inszenierst, musst du nur einmal Rechte zahlen und nicht Autor plus Übersetzung. Und das Theater hat sich auch viel mehr darauf eingestellt, mobil zu sein. Die Produktionen sind kleiner geworden, weil dadurch kleinere Räume angemietet werden können. Auch die Bühnenbilder, das ganze Konzept, um die Stücke in mehreren Städten zeigen zu können.
Jetzt ist es halt für alle klar, wenn du dir im Nationaltheater was anschaust, dann ist das möglichst unpolitisch oder mit ganz vielen Filtern drauf. Man kann entweder nicht das inszenieren, worauf man Lust hätte, oder nicht so inszenieren, wie man es eigentlich hätte machen wollen. Und obwohl im Privattheater die Tickets viel mehr kosten als in staatlichen Theatern, schauen sich die Zuschauer:innen deshalb jetzt viel mehr an, was in privaten Häusern läuft. Und die staatlichen Häuser müssen unter dem Druck von Erdogan jetzt eher alte türkische Autor:innen inszenieren, so 70, 80 Prozent. Aber ich glaube, weniger wurde das Interesse nicht, es hat sich jetzt mehr auf die Gegenwartsdramatik verlagert. Jetzt will man eher wissen, was die deutschsprachigen Autor:innen im Augenblick schreiben.
Hat das vor allem damit zu tun, dass es viele Leute wie dich gibt, die ins Ausland gegangen sind oder gehen mussten und mehr Stücke übersetzen?
Ich glaube, es hat auf jeden Fall geholfen, dass die Welt gerade ein bisschen globaler geworden ist, alle sind mobiler. Selbst die Regisseur:innen, die nur in der Türkei leben, reisen rum und schauen sich Arbeiten an und erzählen dann von den Ideen. Aber ich glaube auch, obwohl wir große eigene Probleme haben, dass man sich jetzt in der Türkei (und genauso empfinde ich das in Deutschland) mehr für die Weltpolitik interessiert.
Und gibt es Kooperationen zwischen deutschen und türkischen Theatern?
Das ist tatsächlich in letzter Zeit etwas weniger geworden. Trotzdem gibt es zum Beispiel immer noch die Kulturakademie Tarabya. Das ist eine Institution in Istanbul, in der deutsche und türkische Künstler:innen und Literaturmenschen sich darum bemühen, Kooperationen zu schaffen oder Künstlerinnen aus Deutschland in die Türkei zu holen. Und das Goethe Institut natürlich, nach wie vor. Aber was die Festivals angeht und alle Möglichkeiten für Kooperationen, da hatte ich das Gefühl, dass es ein bisschen weniger geworden ist. Das hat aber am meisten mit der Wirtschaftskrise zu tun, weil man teilweise nicht mal die Flugtickets übernehmen kann und schon gar nicht den Transport eines Bühnenbilds oder ähnliches. Also die Differenz zwischen Euro und Lira ist gerade einfach riesig. Ich bekomme manchmal Anfragen aus der Türkei für ein Gastspiel einer Inszenierung aus Deutschland, aber es ist einfach nicht machbar.
Und umgekehrt? Laden die deutschen Theater und Festivals türkische Künstler:innen weiterhin ein oder ist das ein bisschen eingeschlafen?
Das ist ein wichtiger Punkt, das enttäuscht mich tatsächlich ein bisschen, weil das eigentlich möglich wäre und es wäre gerade auch leicht für die deutschen Theater, sich das zu leisten. Sie könnten Stücke vom Nationaltheater einladen, aber auch von privaten Häusern, die vielleicht politisch interessanter wären und auch von der handwerklichen und künstlerischen Seite finde ich sie stärker. Ich weiß auch nicht, warum sie das nicht machen.
Gab es irgendein Festival, weißt du das im Kopf, ein Beispiel, wo zuletzt eine türkische Produktion eingeladen war?
Am Maxim Gorki Theater lief gerade wegen des zehnten Jahrestags der Gezi-Proteste ein Gezi-Festival und die hatten ein Programm mit vielen Stücken, wobei diese Stücke nicht in der Türkei produziert wurden, sondern nur in Deutschland geprobt und gespielt.
Denkst du, die Dramaturg:innen denken, was man aus der Türkei jetzt einladen würde, ist sowieso zensiert und deswegen nicht interessant?
Ich glaube, sie denken eher praktischer, wenn wir jetzt zwei Vorstellungen aus Ankara oder Istanbul einladen, muss man sich um ein riesiges Team kümmern. Wir können stattdessen eine Regisseurin mit einem türkischen Namen einladen, die bei uns für die ganze Spielzeit etwas inszenieren kann. Ich zeige da schon Widerstand, wenn ich das Gefühl habe, dass ein Haus sich nur für mich interessiert wegen des türkischen Nachnamens oder weil ich was Türkisches inszenieren würde. Dann schau ich erstmal, was sie sich unter türkischem Theater vorstellen, was meistens nicht das ist, was wir gerade in der Türkei machen. Dann sage ich, wenn, dann machen wir etwas von einer zeitgenössischen türkischen Autorin oder einem Autor und lassen es übersetzen und dann inszeniere ich das. Da habe ich selber ein Interesse daran, weil ich das Gefühl habe, da bekommt man ein bisschen mehr von der türkischen Literatur meiner Generation mit, oder von dem, was meine Generation gerade bewegt.
Wer sind die zeitgenössischen türkischsprachigen Autor:innen, die aktuell in der Türkei gespielt werden, kannst du da ein paar Namen nennen?
Zum Beispiel Şamil Yılmaz, Ebru Nihan Celkan, Murat Mahmutyazıcıoğlu, Beliz Güçbilmez, Pelin Temur, Ali Cüneyd Kılcıoğlu, Ahmet Sami Özbudak und Yusuf Dündar.