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Theater + Übersetzung

Szene Lateinamerika

Deutschsprachige Gegenwartsdramatik in Lateinamerika 

Übersetzungsförderung und Plattformen  

Von Ilona Goyeneche 

Theaterstücke aus dem deutschsprachigen Raum sind in der lateinamerikanischen Region vielfältig präsent. Ein wichtiger Impulsgeber ist das Goethe-Institut mit seinen Veranstaltungen und der kontinuierlichen Übersetzungsförderung zur Verbreitung neuer deutscher Dramatik weltweit. 

Seit mehr als 20 Jahren findet die deutschsprachige Gegenwartsdramatik in Festivals, szenischen Lesungen, Werkstattinszenierungen, Workshops und regelmäßigen Übersetzungen systematische Verbreitung in Lateinamerika. Als bedeutender Meilenstein hierfür kann das zwischen 2001 und 2011 ausgerichtete Festival de Dramaturgia Europea Contemporánea (Festival Europäischer Gegenwartsdramatik)in Chile erachtet werden. Gegründet wurde dieses Festival dank einer Initiative des damaligen Leiters des Goethe-Instituts Chile, Hartmut Becher. Kurz nach seiner Ankunft in Chile tat er sich mit Institutsleiter:innen in Frankreich und Spanien zusammen, um dieses Festival gemeinsam zu organisieren. Das Festival stieß auf rege Begeisterung unter lokalen Theatermacher:innen und dem Publikum, das lange Warteschlangen in Kauf nahm, um die Vorstellungen zu sehen. Ab der dritten Ausgabe erweiterte sich das internationale Spektrum; nach und nach beteiligten sich auch Pro Helvetia, der British Council, das Italienische Kulturinstitut, die Kroatische Botschaft und die Niederländische Botschaft.  

Das Hauptziel des Festivals bestand nicht nur in der Verbreitung europäischer Texte, sondern auch darin, ein Ort des Austauschs zu sein. Stets wurden zwei Texte aus jedem Land vorgestellt: ein Text als Werkstattinszenierung und der andere als szenische Lesung, gespielt von lokalen Theatermacher:innen. Die Stücke wurden von einem Komitee aus Künstler:innen und Wissenschaftler:innen auf Empfehlung der jeweiligen Institute und Botschaften ausgewählt. Im Rahmenprogramm wurden Talks, Workshops und Publikumsgespräche organisiert.  

Inszenierungen, die während des Festivals besonders erfolgreich waren, wurden oftmals weitergespielt. Zum Beispiel „Electronic City“ von Falk Richter, „Norway.Today“ von Igor Bauersima oder „Mein junges idiotisches Herz“von Anja Hilling. Darüber hinaus wurden diverse Inszenierungen wiederum nach Europa eingeladen, etwa „Electronic City“ von der chilenischen Theatergruppe La Puerta unter der Leitung von Luis Ureta. Das Festival de Dramaturgia Europea Contemporáneaist ein Vorreiter, stellt aber inzwischen keinen Einzelfall mehr dar. In Lateinamerika haben dann mehrere Goethe-Institute Festivals dieser Art gemeinsam mit anderen europäischen Ländern organisiert.  

Eine bedeutende Rolle spielt das Übersetzungsförderungsproramm des Goethe-Instituts, mit dem die Übersetzung deutschsprachiger Theatertexte weltweit unterstützt wird. „Das Großartige an Lateinamerika ist, dass egal in welchem Land die Stücke übersetzt wurden, sie sprachlich überall im spanischsprachigen Raum (einschließlich in Spanien) funktionieren. Man muss allenfalls einige wenige sprachliche Anpassungen vornehmen. Brasilien als portugiesischsprachiges Land ist natürlich ein Sonderfall”, beschreibt Hartmut Becher. Wie der ehemalige Institutsleiter weiter ausführt: „Ohne Übersetzung geht ja gar nichts im Ausland. Die Goethe-Institute in Lateinamerika haben ständig nach Übersetzer:innen gesucht. Spanisch beziehungsweise Portugiesisch musste in der Regel die Muttersprache sein.  

Von Chile bis nach Cuba 

Als Hartmut Becher 2005 die Leitung des Goethe-Instituts in Buenos Aires, Argentinien, übernahm, brachte er das Veranstaltungsformat aus Chile mit sich. Gabriela Massuh, die viele Jahre in der Programmabteilung tätig war, leitete das Projekt 4 x 4 teatro semimontado: Cuatro directores argentinos en busca de cuatro autores alemanes (4 x 4 Szenische Lesungen: Vier argentinische Regisseure auf der Suche nach vier deutschen Autoren). Dieses Festival wurde kurz darauf durch eine gesamteuropäische Ausrichtung erweitert. In diesem Ciclo de Nueva Dramaturgia Europea (Zyklus der neuen europäischen Dramaturgie) – später umbenannt in Dramaturgias cruzadas – wurden drei Texte aus jedem beteiligten Land vorgestellt.  

Ähnliche Entwicklungen finden sich in Mexiko, wo das Goethe-Institut gemeinsam mit der Nationalen Theaterkoordination des Kultursekretariats Mexikos, der Österreichischen Botschaft und Pro Helvetia seit 2008 Jahren das Festival Theaterwelt ins Leben rief. Auch im Rahmen dieses Festivals werden in Werkstattinszenierungen neuste Stücke aus dem deutschsprachigen Raum präsentiert und jedes Jahr ein Workshop über Gegenwartsdramatik, szenisches Schreiben, Theaterkritik oder Dramaturgie neu ausgerichtet. Die Leitung dieses Workshops oblag bisher hauptsächlich dem Theaterkritiker und Autor Jürgen Berger. „Für mich war es immer sehr überraschend“, erzählt Jürgen Berger, der abgesehen von Mexiko auch in Argentinien, Venezuela, Chile, Brasilien und Kuba zu Gast gewesen ist, „dass überall ganz großes Interesse herrschte. Für die Regisseur:innen ist es hoch spannend, weil die Produktionsstrukturen in diesen Ländern immer ganz andere sind als bei uns. Dieses Format, auf ein bereits geschriebenes Stück zu reagieren, ist bei den freien Gruppen nicht gegeben, weil sie meistens gemeinsam an Stückentwicklungen arbeiten. In den jeweiligen Workshops hat man dann am Text gearbeitet und für den späteren künstlerischen Prozess wichtige Detailfragen geklärt. Da kommt man ja immer auf die Arbeit des/der Dramaturg:in, da es aber diese Figur in Lateinamerika häufig nicht gibt, kann ein/e Übersetzer:in partiell in diese Rolle schlüpfen“. Im Jahr 2015 reiste die Nachinszenierung „Von den Beinen zu kurz“ von Katja Brunner, inszeniert vom mexikanischen Regisseur David Gaitán, zum Heidelberger Stückemarkt und den Mülheimer Theatertagen. 

In Kuba bildet deutsches Theater einen wichtigen Bestandteil der Theaterszene und wird vom Verbindungsbüro des Goethe-Instituts regelmäßig gefördert. Seit 2003 werden in szenischen Lesungen aktuelle Texte vorgestellt und seit 2006 die Deutsche Theaterwoche organisiert. Dabei werden Stücke der zeitgenössischen deutschsprachigen Dramatik von kubanischen Gruppen inszeniert sowie Autor:innen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz eingeladen. Die Autor:innen geben außerdem Workshops und die übersetzten Texte werden teilweise veröffentlicht. Für die kubanische Dramaturgin Yohayna Hernández „waren diese Veranstaltungen damals so interessant, weil neben Brecht wenig bekannt war. Die Deutschen Theaterwochen aktualisierten das Wissen über die zeitgenössische deutschsprachige Dramatik. Diese neuen Stücke waren sehr provokativ für die jungen kubanischen Autor:innen, die anfingen diese Texte zu lesen. Wir sprechen hier von den ersten Jahren ab 2000. Zu dieser Zeit befanden sich viele junge kubanische Autor:innen mit ihren Bestrebungen in einem marginalisierten Bereich, da sie vom Kanon der etablierten kubanischen Dramaturgie, die sehr realistisch und traditionell war, abwichen. Die jungen Leute machten Erkundungen, die mehr in Richtung des Narrativen und Performativen gingen, und fanden, dass sich die Ansätze der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik in stärkerem Einklang mit den ihren befanden“.  

In Ecuador gehören neue Texte aus Deutschland fest zum Programm. So lässt das Goethe-Zentrum/Humboldt Gesellschaft in Quito jährlich ein aktuelles Stück übersetzen, um es in einer szenischen Lesung mit lokalen Theatermacher:innen zu zeigen. Seit 2005 hat die in Quito lebende Übersetzerin Birte Pedersen dem Goethe-Zentrum bereits 23 Stücke empfohlen und übersetzt. Gemeinsam planen sie, im Mai 2022 Dea Loher im Rahmen eines Projekts, das vom Deutsch-Französischen Kulturfonds gefördert wird, nach Ecuador zu bringen. „Ihr [Dea Lohers] Kindertheaterdebüt „Bär im Universum“, das ich letztes Jahr übersetzt habe, soll eine Spielzeit in Quito haben und dann durch mehrere Städte und die PASCH-Schulen touren“. Bei ihrer Auswahl achtet Birte Pedersen immer darauf, dass die Stücke inhaltlich relevant für den lateinamerikanischen Kontext sind. „Es gibt ganz tolle Stücke, die sehr universell und akut sind, wie zum Beispiel eben „Bär im Universum“. Dieses Stück ist absolut fantastisch, da ist alles drin. Oder „Du, Normen“ oder „Die Mitwisser“ von Philipp Löhle, die sind so unglaublich aktuell. Genauso wie das Stück über Mobbing „Mein ziemlich seltsamer Freund Walter“ von Sybille Berg, das ich 2020 übersetzte“. 

In Brasilien werden immer wieder neue Formate gesucht, bei denen aktuelle deutschsprachige Texte lokal inszeniert oder besprochen werden. Vier Jahre lang lief am Goethe-Institut Sao Paulo das Projekt Dramatik!, das Besucher:innen der Theaterbibliothek eine Plattform bot, sich über Gegenwartsdramatik in Diskursveranstaltungen auszutauschen. Ebenso der Wettbewerb Transitin Porto Alegre, eine Initiative, die in Zusammenarbeit mit Jürgen Berger konzipiert wurde. Zum Auftakt gab der Theaterkritiker einen Workshop zur aktuellen deutschsprachigen Dramatik, an dem mehrere Regisseur:innen aus Porto Alegre teilnahmen. Im Anschluss wurden zwei Inszenierungskonzepte ausgewählt und die Aufführung unterstützt. „Das spannende war, dass es bei dem Workshop auch um die Übersetzung ging und es wurde schnell klar, dass man den/die Übersetzer:in ebenfalls in den Inszenierungsprozess einbeziehen sollte oder in die Vorbereitung einer Inszenierung, da die Übersetzer:innen direkt darauf reagieren können“, erinnert sich Jürgen Berger.  

Der persönliche Kontakt als Impulsgeber 

Für Carla Imbrogno, Übersetzerin von mehr als 20 Theaterstücken, Kuratorin der Programmabteilung des Goethe-Instituts Buenos Aires und Koordinatorin für Lateinamerika des Schweizer Übersetzerhauses Looren, „sollten neue Wege gefunden werden, Dramatik und Übersetzung auf einer kollaborativen Eben zusammenzubringen“. Für das Goethe-Institut Mexiko hat sie 2014 „Von den Beinen zu kurz“ übersetzt. Hierfür traf sie sich mit der Autorin des Stücks Katia Brunner und seither stehen sie in engem Kontakt und Austausch. „Von den Beinen zu kurz“ wurde nicht nur in Mexiko aufgeführt, sondern auch in Spanien, Chile und Argentinien. Als 2019 feministische Bewegungen in Südamerika zu erstarken begannen und das feministische Kollektiv LasTesis international bekannt wurde, schlug Carla Imbrogno „Die Hand ist ein einsamer Jäger“ von Katia Brunner der in Chile lebenden Regisseurin Heidrun Breier zur Inszenierung vor und übersetzte den Text. Nach der Aufführung in Chile wurde das Stück dann noch in Mexiko aufgeführt. „Wenn diese Texte nicht in der Landessprache zur Verfügung gestellt werden, erschwert es deren Verbreitung“, bekräftigt Carla Imbrogno und ist davon überzeugt, „dass der Aufbau einer engen Arbeitsbeziehung zwischen Autor:in und Übersetzer:in die Verbreitung eines Textes nachhaltig stärkt“.

 

Ilona Goyeneche

Ilona Goyeneche ist Journalistin und Kulturmanagerin. Sie arbeitete für das Goethe-Institut im Bereich Theater und Tanz in Chile und Mexiko. Übernahm die Koordination und Redaktion der Spezialausgabe „Mexiko“ von Theater der Zeit, ko-kuratierte das Mexikanische Theaterfestival Endstation Sehnsucht bei den Münchner Kammerspielen 2016 und die Ausgaben 2017 und 2020 des Iberoamerikanische Theaterfestival ¡Adelante! in Heidelberg. 

Ein Weg ohne Rückkehr 

Ilona Goyeneche im Gespräch mit Luis Ureta Letelier 

Der Theaterregisseur Luis Ureta Letelier hat bis heute wahrscheinlich die meisten deutschsprachigen Gegenwartsstücke in Chile inszeniert. Er ist Schauspieler, Regisseur, seit über 25 Jahren Dozent an verschiedenen Universitäten und leitet seit 2014 das Diplomado en Dirección Teatral (Aufbaustudium für Theaterregie) an der Universität Finis Terrae in Santiago de Chile. Mit seinem Theaterensemble „La Puerta“ feierte er 2020 dreißigjähriges Bestehen. Ein großer Teil seines Repertoires von mehr als 50 Inszenierungen stammen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Wann hast du zum ersten Mal einen deutschsprachigen Text inszeniert?

Der erste deutsche Text, den ich inszeniert habe, war kein geringerer als Zarathustra von Nietzsche; das war 1995. In dieser Zeit inszenierten wir mit unserem Ensemble hauptsächlich Adaptionen von Prosatexten. Im Jahr 2003 wurde ich im Rahmen des Festival de Dramaturgía Europea Contemporánea (Festival Europäischer Gegenwartsdramatik) eingeladen, Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr von René Pollesch zu inszenieren. Das war dann in Bezug auf meine Arbeit mit deutschsprachiger Gegenwartsdramatik ein Weg ohne Rückkehr. Danach habe ich weitere Stücke aus Österreich, der Schweiz und Deutschland inszeniert; inzwischen sind es 18 Arbeiten in meinem Repertoire.

Hat René Pollesch diese Inszenierung Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr gesehen?

Eine Woche lang hatten wir eine sehr intensive Arbeitsphase, in der wir vor Ort in Chile gemeinsam mit René Pollesch an seinem Text arbeiten konnten. Vorab hatten wir mit der Übersetzerin Pola Iriarte schon eine szenische Bearbeitung entwickelt. Als Pollesch dann nach Santiago kam und unsere theatrale Annäherung an sein Stück sah, war er sehr zuvorkommend und sagte nicht viel zu unseren bisherigen Versuchen, sondern zeigte uns wertvolle Wege zur Erschließung seines Textes auf. Wir hatten uns dem Stück auf unsere konventionelle Inszenierungsweise genähert und damit versucht, auf einen Text zu reagieren, der sich dieser Arbeitsweise jedoch verschloss. Es fehlte uns einfach an Erfahrung, um die Mechanismen dieses dramatischen Textes, für die es heute schon technische Bezeichnungen wie beispielsweise performative Texte gibt, zu identifizieren.

Von Pollesch bekamen wir sehr spezifische Hinweise, die ausschließlich durch ihn vermittelt werden konnten. In seinen Texten, werden eigene Erfahrungen, philosophische Ansichten und Wissen von anderen eingebaut. Durch diese zusätzlichen Informationen konnten wir das Stück erst richtig aufschlüsseln. Danach ist er aber abgereist und konnte die Endversion nicht mehr sehen. Allerdings bekam er Feedback von Theaterkritikern wie Andreas Beck, der die Inszenierung begeistert aufnahm und uns in einem privaten Gespräch sagte, wie positiv ihm diese Mischung zwischen einem deutschsprachigen Text und dem lateinamerikanischen Ansatz überrascht hatte.

Eine Gruppe von sechs Menschen sitzt an einem Tisch und arbeitet an Theatertexten. Ganz links sitzt René Pollesch.

Foto: Cristián Matta

Kannst du mehr über die Zusammenarbeit mit der Übersetzerin erzählen, die wie im Falle von Pollesch eine wichtige Vermittlerrolle einnimmt, um an einen Text heranzukommen?

Diese Zusammenarbeit war sehr, sehr wichtig. Zum Beispiel das Einbauen des Schreiens als Vorgehensweise und auch der Rhythmus. Besonders die frühen Texte von Pollesch sind einerseits durch eine ideologische und sozialpolitische Matrix scharf definiert und andererseits sehr performativ und klangvoll. Pola Iriarte suchte immer nach dem besten Wort oder der sinnvollsten Auslegung für Situationen, die im Text eher metaphorisch klingen, sich aber ganz gezielt auf eine wahre Situation beziehen. In dieser Hinsicht wurde uns vieles klar, was wir ohne sie nicht hätten wissen können. Außerdem drehten sich unsere Gespräche nicht nur um den Text, sondern auch um unsere persönlichen Ansichten, zum Beispiel in Bezug auf die Gesellschaft, und zusammen mit dem konkreten Agieren der Schauspielrinnen entfaltete sich der Text auf besondere Weise. Das war für uns alle sehr befreiend, unser Wissen erweiterte sich und dadurch gelang es uns, immer tiefer in den Text einzudringen.

Wie oft hast du bei dem Festival Europäischer Gegenwartsdramatik, dem Festival de Dramaturgía Europea Contemporánea, in Chile mitgemacht? Wurden dir die Texte, die du dort inszeniert hast, vorgeschlagen oder konntest du sie selbst auswählen?

Ich war mindestens zehnmal dabei und mir wurden die Texte immer angeboten. Nur einmal habe ich ein Stück zurückgewiesen, weil ich das Thema einfach nicht interessant fand. Als Ersatz wurde mir ein anderer Text angeboten, Endidyll von Jens Nielsen, eine Komödie, die dann auch eine Spielzeit im Theater Amanda hatte. Das war aber auch das einzige Mal, dass ich ein Stück zurückwies. Ansonsten fand ich die Texte, die mir angeboten wurden, immer sehr reizvoll und interessant.

Ein Mann und eine Frau sitzen auf die Bühne. Das Licht ist blau. Hinter ihnen sieht man eine Nahaufnahme eines Eulengesichts.

Foto: Cristián Matta

Wie oft wurden diese Inszenierungen letztendlich in das Repertoire der Theatergruppe übernommen?

Ich würde sagen in 90 Prozent der Fälle wurden die Texte, die mir für Werkstattinszenierungen angeboten wurden, von uns übernommen; sie wurden Teil unseres Repertoires und hatten eine Spielzeit. Meistens wurden sie zuerst im Goethe-Institut selbst gezeigt und später auch an anderen Spielorten.

Wie hat es sich ergeben, dass du 18 Stücke inszeniert hast. War das immer im Rahmen des Festivals oder auch in anderen Zusammenhängen?

Danach wurde ich nochmals zum Festival eingeladen, wobei ich ein Stück von Dea Loher inszenierte; eine Autorin, mit der ich mich auf einer sehr sensiblen Ebene verbinden konnte. Bis heute ist sie meine Lieblingsautorin, weil ihr Werk für mich unglaublich wertvolle Eigenschaften besitzt. Das geht so weit, dass ich für eine meiner letzten Arbeiten den von ihr verfassten Monolog Land ohne Worte als Ausgangspunkt nahm. Nach verschiedenen Ansätzen, bedingt durch den sozialen Ausbruch hier in Chile und der Pandemie, „mutierte“ das Stück dann zu einem Podcast. In der fast autobiographischen Geschichte erzähle ich von einem Regisseur und einer Schauspielerin, die zu einem gewissen Moment das Stück Land ohne Worte inszenieren wollen, äußere Gegebenheiten dies aber verhindern. Das ergab sich durch einen Kommentar der Schauspielerin Gabriela Aguilera, die zu mir sagte: „Aber warum sollen wir jetzt von einer Figur sprechen, die eine deutsche Autorin erfunden hat, weil sie sensibel für das Leiden Afrikas ist? Schau mal, was wir hier gerade vor Ort erleben, was auf den Straßen passiert, was in unserem Leben passiert. Die Welt zerbricht in Stücke!“ Im Grunde hat das aktuelle Zeitgeschehen Hand an unsere Arbeit gelegt. Aus dem Originaltext von Dea Loher sind letztendlich nur ein paar Zeilen übriggeblieben, aber wir wollten den Text von Loher als Ausgangspunkt beibehalten.

Auch im Rahmen meiner Dozententätigkeit habe ich in den letzten Jahren mindestens 15 Stücke inszeniert. Jedes Semester inszeniere ich etwas Neues. Mein Unterricht an der Universidad Católica und an der Universidad Finis Terrae zeichnet sich dadurch aus, dass ich dieses Textmaterial darin einbaue. Vor ungefähr vier Jahren hatte ich am Theater der Universidad Finis Terrae eine Spielzeit mit dem Stück Im Ausnahmezustand von Falk Richter, die von der Universität finanziert wurde. Das hatte also überhaupt nichts mehr mit dem Festival zu tun. Kürzlich habe ich mich mit dem Text Terror von Ferdinand von Schirach für eine staatliche Förderung beworben, sie aber leider nicht erhalten.

Bezüglich der Erarbeitung der Stücke, von der ersten Erschließung bis zur Inszenierung, wie eng ist deine Zusammenarbeit mit den Übersetzer*innen?

Dies hängt immer ein bisschen vom Kontext ab und von der zur Verfügung stehenden Zeit. In manchen Fällen bleibt der Kontakt eher auf einer praktischen und zweckbetonten Ebene. Dann gab es wiederum Prozesse, in denen die Zusammenarbeit sehr eng war. Zum Beispiel arbeiteten wir für den Text Das Leben auf der Praça Roosevelt von Dea Loher sehr eng mit der Übersetzerin Soledad Lagos zusammen oder im Falle von Land ohne Worte, ebenfalls von Loher, war die Übersetzerin Monika von Moldovanyi bei unserem ersten Ansatz involviert und auch hier hatten wir zur Vertiefung dieses Monologes ein aufschlussreiches und schönes Arbeitsverhältnis. Es liegt auf der Hand zu sagen, dass die besten Prozesse immer die waren, bei denen es eine überaus enge Zusammenarbeit mit der Übersetzerin gab.

Speziell im Hinblick auf deutschsprachige Texte, was ist für dich an ihnen so attraktiv oder was zieht dich an ihnen immer wieder an?

Es gibt einen vielfältigen Pool von übersetzten Stücken, die zum Teil noch nicht inszeniert worden sind. Viele dieser noch nicht inszenierten Stücke sind für mich, sowohl für meine Arbeit als Dozent als auch im künstlerischen Bereich, von großem Interesse. Ein sehr attraktiver Aspekt für mich ist dieser Raum, der dem Regisseur die Freiheit bietet und gleichzeitig eine Herausforderung darstellt, das vorhandene Material zu gestalten und zu visualisieren. Diese Zwischenräume müssen ergänzt werden und das finde ich sehr verlockend und inspirierend. Zum Beispiel die Randbemerkung von Heiner Müller bei Quartett, in der er angibt: „ein Bunker nach dem dritten Weltkrieg wie auch ein Salon der französischen Revolution“. Dieser vorgestellte Raum impliziert die große Frage danach, wie dieses Paradox umgesetzt werden soll. Das zum einen und zum anderen ist da die Bedeutung, die man dem Narrativ gibt. Wie im Falle von Roland Schimmelpfennigs Stücken, bei denen die Wechsel zwischen fiktionaler Darstellung und der Hinwendung zum Publikum fließend sind. Diese Dynamik von hinein und hinaus ist etwas, womit ich mich sehr wohl fühle und die ich sehr stimulierend finde. Das Publikum in die persönliche theatrale Erfahrung einzubeziehen, ist für mich sehr, sehr stimulierend... und auch demokratisch.

Haben diese Texte deine Arbeit als Regisseur beeinflusst?

Absolut. Mit diesem Material gearbeitet zu haben, hat mich als Regisseur und meine künstlerische Tätigkeit gewandelt. Und das macht es noch bis heute. Viele dieser Erfahrungen baue ich in meine Arbeit als Dozent mit Schauspieler*innen und Regisseur*innnen ein. Seit acht Jahren leite ich ein Regieaufbaustudium und diese Matrix ist ein wichtiger Teil der Ausbildung.

Von all den Inszenierungen deutschsprachiger Texte, die du bisher gemacht hast, gibt es da welche, für die du eine gewisse Vorliebe hast oder die dir als besondere Erfahrung in Erinnerung geblieben sind?

Ohne Zweifel ist Heidi Hoh arbeitet hier nicht mehr eine Art Eröffnungsstück, das mir als Regisseur den Horizont erweitert hat. Und ja, eine andere eindrückliche Erfahrung, die ich gemacht habe, war mit Electronic City von Falk Richter im Jahr 2004. Mit dieser Inszenierung reisten wir nach Salzburg und nahmen an einer Inszenierungstrilogie in einer Art Wettbewerb teil. In diesem Fall konkurrierten die drei Regisseure miteinander. Das waren Alex Rigola aus Barcelona, eine deutsche Regisseurin und ich. Electronic City war eine wirklich großartige Erfahrung und eine Inszenierung, die wir auch hier bei uns in mehreren Theatern aufführten und damit durchs Land tourten. Dazu kommt die Inszenierung von Das letzte Feuer von Dea Loher 2010/2011 als Beweis einer gewissen szenischen Reife, die ich damals erlangte. Ebenso eine besondere Erfahrung war die Inszenierung von Philipp Löhles Stück Das Ding, mit dem wir 2013 in Mannheim und Heidelberg waren.

Worin liegt deiner Ansicht nach die Resonanz dieser deutschsprachigen Gegenwartsdramatik, die mit einer ganz anderen Wirklichkeit, in diesem Fall der chilenischen, im Dialog steht?

Das Thema Zeit und der Bereich der menschlichen Beziehungen sind zum Beispiel in den Texten von Roland Schimmelpfennig wie Push Up oder Die Frau von früher sehr präsent. In diesen Stücken steht der globalisierte Mensch aus dem Westen im Zentrum. Deshalb sind nicht viele Anpassungen nötig, damit ihre Inhalte Resonanz hier und dort haben. Eine interessante Erfahrung machten wir mit Elektronic City. Als wir in Salzburg aufführten, überraschte es die Zuschauer, dass in unserer Inszenierung der Fokus auf die Supermarktkassiererin und ihr prekäres Dasein gerichtet war. Wir betrachteten das ganze Stück aus den Augen der Kassiererin, anstatt, wie in der europäischen Version, den Hauptdarsteller in den Mittelpunkt zu stellen. Dieses Zusammentreffen verschiedener Sichtweisen empfanden wir als überaus wertvoll und das machte unsere Stärke aus, da die eine – unsere – Sichtweise ja im Grunde unsere Wirklichkeit darstellt.

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