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Theater + Übersetzung

Szene Indien

Deutschsprachige Gegenwartsdramatik in Südasien: Übersetzungsprojekt des Goethe-Instituts Mumbai 

von Jayashree Joshi 

Hintergrund 

Indien ist ein Land mit vielen Subkulturen und 23 gesetzlich anerkannten Sprachen. Also hat das indische Theater keinen nationalen Charakter, es ist immer ein regionales Theater. Jede Region, jedes Bundesland hat eigene Sprache, Geschichte, Kultur, künstlerische Volkstradition und die Theaterszene ist in ihnen eingebettet. Die Theaterkultur Indiens entwickelte sich aus religiösen Tanzdramen, Volksschauspielen, Marionetten- und Schattenspielen. 
In der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts wandte sich das indische Theater auch sozialen und politischen Themen zu. Eine der wichtigsten Forderungen nach politischer Repräsentation in geografischen Grenzgebieten war die, nach Anerkennung und Unterstützung ihrer regionalen Sprachen und Kulturen.   
Dies führte zu einer wachsenden Ernüchterung der Theaterwelt gegenüber den fortwährenden europäischen und amerikanischen Einflüssen auf die zeitgenössischen indischen Theatertexte und –praktiken per se. Sollte die neue Identität des indischen Theaters nach der Unabhängigkeit eine neue Form des Internationalismus sein? Konnte man gleichzeitig ‚Inder:in‘ und  ‚Weltbürger:in‘ sein?  
Diese Historie verkomplizierte lange den Aufbau interkultureller Brücken in der Region Südasien. Im Laufe der letzten Jahre entstand allerdings eine Bandbreite an neuen Arbeiten, die in Zusammenarbeit mit den Auslandskulturinstituten entwickelt wurden. Durch diverse Gespräche mit Theatermacher:innen sowie mit dem Publikum aus Südasien ist lässt sich feststellen, dass das deutschsprachige Theater in Indien vor allem durch bekannte Namen geprägt ist: angefangen von Goethe, Schiller, Lessing, über die Zeitgenoss:innen Bertolt Brecht, Günter Grass oder Heiner Müller. Die Germanist:innen und unersättlichen Leser:innen wissen von Horvath, Elfriede Jelinek und Thomas Bernhard. Viele in deutscher Sprache geschriebene Theatertexte sind dem asiatischen Publikum nur in englischer Übersetzung bekannt. Versionen in lokalen südasiatischen Sprachen sind kaum zu finden, wenn überhaupt, dann ausgehend von der englischen Fassung. Das vor Ort ansässige Goethe-Institut sieht seine Aufgabe darin, deutschsprachige Gegenwartsdramatik in der jeweiligen lokalen Sprache zugänglich zu machen und mit ihrer künstlerischen Arbeit und Lebensrealität in Beziehung zu setzen. So war es ein Anliegen, eine divers kuratierte Sammlung von Theaterstücken (über die üblichen Klassiker hinaus) aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Verfügung zu stellen. 

Projekt: deutsche Gegenwartsdramatik in südasiatischen Sprachen 

Das Regionalprojekt "deutsche Gegenwartsdramatik in südasiatischenSprachen" wurde ab 2020 von Mumbai aus federführend organisiert. Beteiligt sind neun Goethe-Institute der Region. Die Vorbereitung lief von März bis Juli 2020, dabei ging es um die Auswahl der Theaterstücke und interessierter Übersetzer:innen. Im Vorfeld wurden von Mentor:innen Podcasts zu verschiedenen Themen und Theaterstücken vorbereitet.  Außerdem gab es ein Team von erfahrenen Übersetzer:innen, Theoretiker:innen und Theaterschaffenden, das für Fragen und Anregungen rund um den Diskurs von Lesbarkeit und Darstellbarkeit von Übersetzungen und Theatertexten den Teilnehmenden als Werkstattleitung, Mentor:in und Gesprächspartner:in zur Seite stand. 
Insgesamt wurden 25 Theaterstücke zur Wahl gestellt. Einen Schwerpunkt bildeten die Stücke von Roland Schimmelpfennig. Darüber hinaus stand für die Werkstatt eine Auswahl von Stücken der deutschsprachigen Gegenwartsdramatik zur Verfügung. Darunter Stücke von Thomas Melle, Ewald Palmetshofer, Elfriede Jelinek, Thomas Köck, Anne Lepper, Sybille Berg, Enis Maci, Ferdinand Schmalz, Kristo Sagor, Martin Baltsheit, Tina Mueller, Simon Windisch und Felicia Zeller. 
In der ersten Phase entstanden die Rohübersetzungen der kuratierten Stücke. In der zweiten Phase begann die Feinarbeit, die begleitet wurde von einem intensiven einwöchigen Online-Workshop mit den Mentor:innen. In der dritten Phase setzten sich Theaterschaffende mit den vorliegenden Texten und deren Übersetzung auseinander.   
Schließlich wurden in der finalen Phase die nominierten Stücke für szenische Lesungen an Theatergruppen übergeben. ​Als Teil dieses Projekts laufen szenische Lesungen an beteiligten Instituten.  

An diesem Projekt waren insgesamt 28 Übersetzer:innen aus sieben südasiatischen Sprachen – Bangla, Hindi, Kannada, Marathi, singalesisch, Tamil, Urdu – beteiligt. Es entstanden 49 Übersetzungen von 23 Theaterstücken. Einige Stücke wurden in fast alle Sprachen, einige nur in eine Sprache übersetzt. Diese Übersetzungen können in erster Linie innerhalb Indiens, aber weiterhin auch in Dhaka (Bangla), Colombo (Tamil und Singhalesisch) und Karachi (Urdu) und weiteren Regionen Südasiens verwendet werden. Außerdem werden diese Übersetzungen in die zentrale Theaterbibliothek des Goethe-Instituts aufgenommen und verfügbar gemacht. 

Herausforderungen für die Übersetzung 

Übersetzung im Theater bezieht sich auf die gesamte Inszenierung und gleicht, wenn sie sorgfältig und adäquat durchgeführt wird, einem Farbtropfen einer anderen Kultur, der in die Inszenierung hineingeträufelt wird. Das Publikum nimmt sie kaum wahr, die Inszenierung erhält aber dadurch eine neue Schattierung. Das kann wunderschön sein, aber man muss natürlich mit der Dosierung der Farbe vorsichtig umgehen. 

Für die teilnehmenden Übersetzer:innen waren ihre sprachliche Fähigkeit und die ,Kulturfreiheit’ des Textes wichtige Kriterien für eine gelungene Übersetzung. Sie betonten, dass mit einem einzigen Wort zahlreiche kulturelle Assoziationen verbunden sein können, die nur schwer, oder in manchen Fällen sogar unmöglich zu übertragen sind. Da die Sprachen grundverschieden sind, kommen noch Grammatik und Satzbau als weitere Hürden hinzu. Für eine/n Übersetzer:in erweckte eine Übersetzungswerkstatt dieses Ausmaßes den Eindruck, man baue – erneut! – am, Turm zu Babel’. Die gleichzeitige Übersetzung aus dem Deutschen in mehrere südasiatischeSprachen verstärkte diesen Eindruck, zeugte aber auch von der Notwendigkeit solcher Projekte. Sprachliche Vielfalt und Diversität der Themen und Motive der Stücke kommen zusammen wie in einer polyfon-kontrapunktischen Komposition, meinte der Bangla-Übersetzer Romit Roy. Für die Tamizh-Übersetzerin Hem Mahesh brachte der Workshop den wesentlichen Unterschied zwischen dem Schreib- und Sprechstil näher. Das war eine große Hilfe, weil das Treffen des richtigen Registers im Tamilischen seine Besonderheiten hat. Die alltägliche, gesprochene Sprache und die Standardsprache unterscheiden sich voneinander so stark, dass sie fast wie zwei verschiedene Sprachen wirken. Der Urdu-Nachwuchsübersetzer MD Khalid meinte, dass er bei dieser Arbeit gelernt hat, nicht einfach zu übersetzen, sondern den Klang des Originals auch in der Zielsprache zu treffen. 

Kontexte 

Die ausgewählten Theaterstücke behandeln oft komplexe gesellschaftliche und politische Themen aus einer, westlichen Perspektive’. Man braucht z.T. umfangreiches kulturelles Hintergrundwissen, um diese Zusammenhänge zu verstehen. Eine große Herausforderung war daher der Umgang mit der Frage, inwieweit Theatermacher:innen und Publikum in diese Themen eingeführt werden müssen, bzw. ob es möglich ist Inhalte lokal zu adaptieren, ohne die ursprünglich intendierten Botschaften der Stücke zu verzerren. Besonders wichtig erscheinen Übersetzungen aus anderen Ländern für den südasiatischen Raum im Theater für junges Publikum. Oft sind hier die vorhandenen Stücke und Produktionen wenig kritisch und innovativ und gehen nicht mit einer neu heranwachsenden Jugendkultur um.  
Alle beteiligten Expert:innen waren der Meinung, dass diese Stücke Themen erörtern, die auch für Kinder und Jugendliche in Südasien von großer Relevanz sind, diese werden aber in lokalen Produktionen bisher kaum aufgegriffen oder nur am Rande berührt. Durch die Universalität der Handlung sprechen die für das Projekt ausgewählten Kinderstücke auch Erwachsene an, was bei lokalen Produktionen für Kinder kaum der Fall ist. 
Ein solches Übersetzungsprogramm kann ein Katalysator sein, um Autor:innen, Übersetzer:innen, Theaterleute, Intellektuelle, Verlagsfachleute und das Publikum in den verschiedenen Projektphasen auf einer Plattform zusammenzubringen, um einen ergiebigen Dialog zu zeitgenössischem Theater zu führen.  

Eine Webseite zu diesem Projekt ist auf dem Länderportal des GI-Indien aufgesetzt worden: 

https://www.goethe.de/ins/in/en/kul/lak/gss.html 

 

Jayashree Joshi 

Jayashree Joshi ist eine indische Übersetzerin. Seit 2006 ist sie Programmkoordinatorin des Goethe-Instituts / Max Mueller Bhavan Mumbai. Sie hat mehrere deutsche Gedichte und Theaterstücke ins Hindi, Marathi und Englisch übersetzt.  

 

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