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Theater + Transfer

Alternativen

von Yvonne Griesel

Alternative Formen des Sprachtransfers im Theater kommen immer noch sehr selten vor, oblgeich es viele kreative Möglichkeiten gibt. Die Bandbreite geht hier zum Beispiel von dolmetschenden Schauspieler:innen auf der Bühne über zusammenfassende händisch an das Publikum ausgeteilte Übersetzungen bis hin zur Entscheidung keine Übersetzung zur Verfügung zu stellen, nur eine kurze Erklärung vor dem Einlass zu geben oder sogar ganze Textblöcke auf die Bühnenrückwand zu projizieren. Der Kreativität sind hier theoretisch keine Grenzen gesetzt, jedoch wird mit diesen Formen leider noch sehr selten gearbeitet und wenn, dann eher in der freien Szene.  

Fast alle alternativen Formen haben gemeinsam, dass es sich um offene Formen der Translation handelt, die also für das ganze Publikum sicht- oder hörbar sind.  Sie sind keine geschlossenen Formen, die nur für den Teil des Publikums zu empfangen sind, der auf eine Form der Übertragung angewiesen ist, wie beispielsweise eine Verdolmetschung via Kopfhörer.

Wie für „klassische“ Formen des Sprachtransfers, benötigen auch die Alternativen ein Hand in Hand Arbeiten von Regie, Dramaturgie, Bühnenbild und Übersetzung. Diese Zusammenarbeit ermöglicht, den Sprachtransfer ästhetisch zu integrieren und neue Seh- und Hörgewohnheiten entstehen zu lassen.

Offenes Dolmetschen

Beim Dolmetschen wird üblicherweise zwischen Simultandolmetschen und Konsekutivdolmetschen unterschieden. Das Simultandolmetschen findet in einer Kabine statt, wird über Kopfhörer von den Zuhörenden empfangen und die Dolmetscher:innen sind normalerweise nicht zu sehen. Beim Konsekutivdolmetschen sitzt der/die Dolmetscher:in zwischen oder hinter den Gesprächspartner:innen, lässt diese abschnittsweise zu Ende sprechen und dolmetscht dann bis zu fünf Minuten am Stück das vorher Gesagte. Die Verdolmetschung entspricht in Stil, Duktus und Darbietung dem der Redner:innen. Der vermittelte Dialog wird sichtbar und die Verdolmetschung transparent.

Auf der Bühne gibt es zwei Wege des Konsekutivdolmetschens: entweder werden Dolmetscher:innen engagiert und in die Inszenierung integriert, oder die Schauspieler:innen auf der Bühne werden speziell für die Übersetzungsaufgabe trainiert und lernen den zu dolmetschenden Text vorher auswendig .

Beide Formen haben Vor- und Nachteile. Schauspieler:innen haben zwar eine gute Bühnenpräsenz und keine Probleme sich auf der Bühne zu bewegen, können aber ohne Dolmetscher:innenausbildung nur selten Textabweichungen spontan verdolmetschen. Die Rolle der Dolmetschenden kann aber auch innerhalb des Ensembles vergeben werden, dann dolmetschen sich die Schauspieler:innen gegenseitig und lernen den übersetzten Text auswendig.

Werden Dolmetscher:innen auf der Bühne eingesetzt, hat das den Vorteil, dass sie unvorhergesehene Improvisationen dolmetschen können, da sie aber meist über keine schauspielerische Ausbildung verfügen, bewegen sie sich nicht so sicher auf der Bühne und der reale Translationsprozess wird so offensichtlicher, was nicht unbedingt schlecht sein muss.

Da es sich bei beiden Varianten um einen starken Eingriff in die Inszenierung handelt, müssen Abläufe häufig neu geprobt und räumliche Absprachen neu getroffen werden. Daher  ist die genaue vorherige Absprache mit der Regie besonders wichtig.

Eine andere Form des „offenen Dolmetschens“ ist das laute Einsprechen, also ein Simultandolmetschen, das ohne Kopfhörer vom gesamten Publikum gehört wird. Hier sind die Dolmetscher:innen nur bedingt zu sehen, aber für das gesamte Publikum hörbar. Die Dolmetscher:innen sitzen in diesem Fall meist mit im Theater- oder Zuschauer:innenraum und können so von den Spielenden auf der Bühne ins Spiel mit einbezogen werden. Auch für das Publikum ist die Sichtbarkeit der dolmetschenden Person oft hilfreich, da so ein direkter Bezug zu der gehörten Stimme aufgebaut werden kann. Die Sprachübertragung funktioniert wie eine Art Voiceover im Film und alle Texte und Rollen werden von einer Person ruhig und neutral eingesprochen, ohne zu viel Aufmerksamkeit zu erzeugen und vom Bühnengeschehen abzulenken. Die Intonation, Lautstärke, ganz allgemein das Spiel bleibt die Aufgabe der Schauspieler:innen auf der Bühne. Im deutschsprachigen Theater ist diese Form des Dolmetschens bisher sehr selten vertreten, da der künstlerische Eingriff in die Inszenierung stark ist. Sowohl Publikum als auch Schauspieler:innen können davon irritiert sein, dass eine zusätzliche Stimme laut im Raum zu hören ist und parallel spricht. Wird es aber geprobt und das Publikum darauf vorbereitet, kann es sehr bereichernd wirken. Es ist eine sehr offene Form, die viel spielerisches Potential freisetzt und zeigt, was Dolmetschen alles kann und was man einem Publikum abverlangen kann.

Interessant ist auch der länderspezifische Unterschied bezüglich der Verwendung und Akzeptanz  dieser Form von Verdolmetschung. In Osteuropa ist Voiceover im Film wesentlich gängiger als Untertitel oder Synchronisation.

Ein so geprägtes Publikum zeigt sich einer Voiceover-Variante im Theater ebenfalls aufgeschlossener gegenüber. Ist ein Publikum an bestimmte Formen des Sprachtransfers gewöhnt, zeigt es sich offener für neue Formen. Das spricht dafür, neue Formen auch im Theater immer wieder anzubieten und auszuprobieren, um den Sprachtransfer noch kreativer im Kunstwerk zu verankern.

Schauspieler:innen dolmetschen

Theaterensembles werden immer diverser, viele Schauspieler:innen sprechen mehrere Sprachen, können Gebärdensprache, sind blind etc.

Theater wie das Maxim Gorki Theater in Berlin, das Theater Dortmund, die Münchner Kammerspiele oder das BerlinerBallhaus Naunynstraße u.a.m., die ganz bewusst darauf gesetzt haben, ein möglichst diverses und vielsprachiges Theater aufzubauen, nehmen hier eine Vorreiterrolle ein. Durch die diversen Ensemblemitglieder wird bereits auf den Proben gedolmetscht oder Englisch gesprochen, Bühnenräume werden neu zugänglich gemacht und es findet auch in den betrieblichen Abläufen eine mehrsprachige Kommunikation statt.

Regisseur:innen wie Yael Ronen, Marianna Salzmann, Susanne Kennedy, Kirill Serebrennikow, Rabih Mroué, Toshiki Okada und viele andere mehr arbeiten international und mit mehreren Sprachen auf der Bühne. Teilweise arbeiten sie auf Englisch, teilweise in ihrer A-Sprache, dazu engagieren sie teilweise Dolmetscher:innen, die bereits auf den Proben arbeiten. Auf der Bühne wiederum werden Sprachen häufig als künstlerisches Mittel eingesetzt und müssen nicht übersetzt werden. Wenn die Sprache bedeutungstragend ist, wird auf unterschiedliche Formen der Sprachmittlung zurückgegriffen. In diesen mehrsprachigen Kontexten übernehmen manchmal auch mehrsprachige Schauspieler:innen die Rolle der Dolmetschenden. Das hat den Vorteil, dass bereits bei den Proben die Sprachbarrieren teilweise überwunden werden können. Aber auch das Zusammenspiel der Schauspieler:innen auf der Bühne wird einfacher, wenn die Translation ein integrierter Bestandteil der Inszenierung ist.

Früher wurde den Sprachmittler:innen häufig auf der Bühne eine Rolle zugewiesen, die dem Klischee der Dolmetschenden entsprach, so hat Roberto Cuilli z. B. einen Dolmetscher als Hund an der Leine auf der Bühne inszeniert, der durch Fußtritte zum Dolmetschen aufgefordert wurde. Oder es wurden Dolmetscher:innen inszeniert, die die Quelle von vielen Missverständnissen auf der Bühne waren.

Heute interagieren zweisprachige Schauspieler:innen, wenn sie zwischen ihren Sprachen hin und her dolmetschen, deutlich selbstbewusster und als Teil eines interkulturellen Ensembles.

Werden dolmetschende Schauspieler:innen integriert, ist wichtig, dass diese Rolle von Beginn an mitinszeniert wird. Der Person muss genug Zeit zum Dolmetschen eingeräumt werden und die zu dolmetschenden Passagen müssen genau festgelegt sein, denn teilweise kann auch Sprache in ihrer Unverständlichkeit als künstlerisches Mittel stehen bleiben.

Regisseur:innen sind entweder selbst mehrsprachig oder bereits während der Proben auf eine:n Dolmetscher:in angewiesen, wenn sie im Ausland arbeiten. In diesem Fall werden die Dolmetscher:innen zu Ensemblemitgliedern.

Diese Form der Sprachübertragung ist von Anfang an mitzudenken, sie eignet sich sehr gut bei mehrsprachigen Inszenierungen und erleichtert sowohl die Probenprozesse als auch das gemeinsame Spiel. Es ist aber immer zu bedenken, dass dies keine reale Verdolmetschung ist, die auf spontane Improvisationen etc. reagieren kann, sondern eine vorbereitete Form, die mitinszeniert wird.

Als Übertragungsart beispielsweise auf Festivals oder Gastspielen ist das Integrieren von Schauspieler:innen weniger geeignet, da es meist zu zeitaufwendig ist, neue Schauspieler:innen in eine bestehende Inszenierung zu integrieren

Synopsen

Zusammenfassende Übersetzungen in Form von Synopsen sind eine sehr einfache und kostengünstige Art, eine Inszenierung zu übertragen. Wie bei der Übertitelung wird der mündliche dramatische Text ins Schriftliche übertragen, nur in extrem reduzierter Form. Eine Synopsis in Form einer zusammenfassenden Übersetzung  bezieht sich immer nur auf das, was auf der Bühne gesprochen wird, und überträgt die Inhalte ohne Wertung, Interpretation oder Zusatzinformationen zur Inszenierung. In der Oper war diese Form der Übersetzung übrigens lange Zeit in Form von Leselibretti eine gängige Methode. Erst mit dem Aufkommen der Übertitelung wurden sie zunehmend abgeschafft.

Eine Synopse als Übersetzungshilfe sollte nicht länger als zwei bis drei Seiten lang sein. Wichtig ist, dass ganz deutlich wird, dass sie einfach eine Übersetzungshilfe ist und nicht als Teil des Programmheftes gelesen werden sollte. Dazu kann die Synopse optisch gestaltet und betitelt werden. Es ist sinnvoll, wenn sie häufiger zum Einsatz kommt, eine Wiedererkennbarkeit durch Farbgebung, Layout o.ä. zu gewährleisten. Die Übersetzung muss in Szenen oder Bildabschnitte gegliedert sein und optische Anhaltspunkte (z.B. Auf- oder Abgänge, Kostümwechsel etc.) sollten auch Bestandteil sein. Möglich ist auch eine Strukturierung durch Bebilderung. Der Stil der Autor:innen kann hier nur bedingt wiedergegeben werden, also ist es sinnvoll einige Sätze oder Passagen in ungekürzter Form abzudrucken, so dass das Publikum sich ein Bild vom Sprachstil machen kann.

Bei der Erstellung der Übersetzung bietet sich eine Zusammenarbeit von Dramaturgie und Übersetzer:innen an, die gemeinsam eine Vorlage erstellen, welche dann übersetzt wird. Wichtig ist es, Kulturspezifika und Verständnisbarrieren zu erkennen und ggf. erklärend mit aufzunehmen.

Ein Vorteil einer zusammenfassenden Übersetzung ist der autonomere Umgang für die Zuschauer:innen, da diese selbst entscheiden können, wann und wie sie die Übersetzung nutzen. Vor Vorstellungsbeginn wird die Synopse ausgegeben und der Zeitpunkt des Lesens ist von den Zuschauer:innen frei wählbar. Ein weiterer Vorteil ist, dass das Bühnengeschehen und das Bühnenbild unberührt von Projektionen, zusätzlichen Lichtquellen, Ablenkungen etc. bleiben.

Es gibt häufig Vorbehalte gegen diese Übertragungsform, weil viel gesprochener Text ohne Übersetzung bleibt, ggf. der Spannungsbogen leidet und Informationen in der Übersetzung vorweggenommen werden. Humor kann beispielweise im Moment, in dem er auf der Bühne stattfindet, nicht auf der sprachlichen Ebene verstanden werden. Es muss viel über Gestik und Mimik zugeordnet werden.

Diese nicht-parallele Form des Übersetzens, erfordert vom Publikum den Mut und die Toleranz des Nicht-Verstehens und das Sich-Einlassen auf fremde Sprachen. Im Gegenzug ist es aber möglich, die Schauspieler:innen genauer zu beobachten, sich auf ihre Mimik und Gestik zu konzentrieren und darüber versuchen zu verstehen.

Es handelt sich also für das Publikum um eine sehr mündige Form der Übersetzung, die selbstbestimmte Rezeption ermöglicht. Sicher ist diese Form der Übertragung nicht für jede Inszenierung passend, aber vor allem bei bekannten Dramen des literarischen Kanons können Synopsen ein guter Weg sein, Inhalte zugänglich zu machen und ein internationaleres Publikum anzusprechen.

Eine ergänzende Möglichkeit für die Vermittlung des Dramenstoffs ist das Ausgeben der vollständigen Übersetzung im Nachhinein. Diese Variante ermöglicht ein tieferes Textverständnis und ist sehr gut für Fachpublikum geeignet. Gerade bei noch unübersetzten Dramatiker:innen kann dies eine interessante Form der Übersetzung sein. Wichtig ist bei dieser Variante aber immer, dass dem Publikum im Vorfeld mitgeteilt wird, dass es noch eine komplette Übersetzung ausgehändigt bekommt, denn nur so können die Zuschauer:innen sich entspannen und das Nichtverstehen besser zulassen.

Im Vorfeld macht das Austeilen einer kompletten Übersetzung wenig Sinn, da das Mitlesen auf Tablets oder Handys während der gesamten Aufführung zu störend für das restliche Publikum ist. Zudem kann das Publikum beim Mitlesen der ungekürzten Fassung kaum auf die Bühne schauen. Eventuelle Rechtefragen, sollten hier vorher mit dem Verlag, dem/r Autor:in oder dem/r Übersetzer:in geklärt werden.

Die zusammenfassende  Übersetzung kommt sehr selten zur Anwendung, birgt aber sehr viel kreatives Potential, das noch ausgeschöpft werden kann.

Offene Audiodeskription 

Eine offene Audiodeskription wird laut eingesprochen und ist somit nicht nur für das blinde Publikum zu hören, sondern auch für die Sehenden. Die offene Audiodeskription ist im Gegensatz zur Audiodeskription, die üblicherweise via Kopfhörer eingesprochen wird, als Form extrem selten.

Als Alternative zum klassischen Dolmetschen und zu Übertiteln ist sie vergleichbar mit dem offenen Dolmetschen. Üblicherweise findet die Audiodeskription als verdeckter Transfer statt, der vom blinden Publikum via Kopfhörer empfangen wird. Die offene Audiodeskription ist vom gesamten Publikum zu hören und wird laut in den Raum eingesprochen oder zumindest laut an bestimmten Stellen des Zuschauer:innenraums.

Das ist natürlich für den sehenden Teil des Publikums gewöhnungsbedürftig, aber auch für die Schauspieler:innen, sollte der Ton so laut eingestellt sein, dass die offene Audiodeskription auch auf der Bühne zu hören ist. Für ein blindes oder sehbeeinträchtigtes Publikum ist  die Tatsache, dass sie   ins Theater gehen können, ohne durch Kopfhörer auf ihre Sonderrolle hingewiesen  und geoutet zu werden, ein schönes, wichtiges und ausbaubares Zeichen.

Es ist eine politische Entscheidung und zudem natürlich auch eine finanzielle, denn die Kosten für Kopfhörer und die Ausleihe entfallen in diesem Fall. Schön ist es, wenn bestimmte Ecken im Zuschauer:innenraum mit offener Audiodeskription versehen werden. So kann sich das Publikum zuordnen und die unterschiedlichen Bedarfe können gleichberechtigt im Zuschauer:innenraum existieren.

Einige jüngere blinde Zuschauer:innen und Aktivist:innen begrüßen es, in dieser Form sichtbar und ernst genommen zu werden. 

Diese Form ist politisch, offen, streitbar und inklusiv. Sie ist in jedem Fall auch interessant für hörendes Publikum, aber nicht für jede Inszenierung und Aufführung geeignet. Aber um ab und zu ein Statement zu setzen, sicher spannend und zu bedenken.

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