Zurück
Theater + Transfer

Dolmetschen

von Yvonne Griesel

Eine andere Möglichkeit eine Inszenierung zu übertragen, ist das Dolmetschen einer Inszenierung. Diese kommt meist zum Einsatz, wenn das Stück sehr textlastig ist, extrem schnell gesprochen wird, mit viel Improvisation gearbeitet wird  oder die Inszenierung sehr bildhaft ist und die Regie sich klar dafür ausspricht zu dolmetschen. Wichtig ist das Dolmetschen auch für taube Menschen, deren erste Sprache die deutsche Gebärdensprache (DGS) ist und die deutsche Schriftsprache lediglich ihre Zweitsprache ist, die sie nicht so schnell rezipieren können. Für Kinder ist das Dolmetschen häufig auch sinnvoller, da sie noch nicht in der Lage sind, so schnell zu lesen oder überhaupt zu lesen. Die angeführten Faktoren müssen bei der Wahl der Transfermethode im Vorfeld immer sorgfältig abgewogen werden.  

Bei der Entscheidung für eine Verdolmetschung muss einiges beachtet werden. 

Zunächst gibt es auch beim Dolmetschen ebenfalls eine offene und verdeckte Verdolmetschung, für die man sich entscheiden kann. 

Verdeckte Verdolmetschung 

Die bekanntere Variante ist das verdeckte Simultandolmetschen, bei dem das Publikum via Kopfhörer die Verdolmetschung direkt eingespielt bekommt und nur bestimmte Zuschauer:innen die Verdolmetschung durch Kopfhörer rezipieren. Idealerweise hat man einen Kopfhörer mit nur einem Hörer oder einen Knochenleitungshörer, da man so sowohl den Originalton als auch die Verdolmetschung hören kann. Wenn die Kopfhörer zu laut sind, oder sich das Publikum einen Hörer vom Ohr schiebt, um besser die Bühnengeräusche zu hören, kann es schnell zu Störgeräuschen im Saal kommen. Dann ist u. U. eine Art Sprachrhythmus im Zuschauerraum zu hören, der sich ggf. sogar bis auf die Bühne überträgt und die Schauspieler:innen irritieren kann. 

Die Dolmetschenden sitzen in einer Kabine oder der Tontechnik und sprechen simultan ein. Der Text wird vorab übersetzt und es bei der Verdolmetschung wird sich auf diese Übersetzung gestützt. Vorteilhaft ist, dass spontan auf Improvisationen oder ungewollte Änderungen reagiert werden kann. Dennoch sollte der Dramentext sorgfältig vorübersetzt sein, da eine simultane Verdolmetschung von Literatur, die sehr viele Bezüge und Verweise aufweist, keine adäquate Übersetzung in der erforderten Qualität sein kann.  

Offene Verdolmetschung 

Neben dem beschriebenen „verdeckten Dolmetschen“ gibt es auch offene Formen der Verdolmetschung. Zum Beispiel, wenn die Dolmetschenden auf der Bühne integriert sind und dort als Dolmetscher:innen für alle sicht- und hörbar agieren oder wenn ein lautes Einsprechen, das als eine Art Voiceover für das gesamte Publikum zu hören ist. 

Die offenen Formen werden häufig in der Freien Szene genutzt, da dort häufig weder die finanziellen Mittel noch die technische Ausstattung für die Umsetzung der Verdolmetschen mit Kopfhörern zur Verfügung stehen. Zudem wird in der freien Szene mehr experimentiert. Schauspieler:innen werden oft spielerisch und offen in den Translationsprozess eingebunden, was zu sehr schönen kreativen Lösungen führen kann.  

Gebärdensprachdolmetscher:innen arbeiten meist offen auf der Bühne und stehen rechts oder links am Bühnenrand. Sie können aber auch als „Schattendolmetscher:innen“ hinter den Schauspieler:innen hergehen und immer dort dolmetschen, wo gesprochen wird. Es gibt auch neue Formen, in denen die Verdolmetschung in eine Augmented Reality-Brille projiziert wird und nur für die Gehörlosen sichtbar ist. Ob hier eine offene oder verdeckte Form der Translation die richtig ist, wird kontrovers diskutiert.  

Hat man sich für eine Form der Verdolmetschung entschieden, sollte man sorgfältig planen und professionelle Dolmetscher:innen einbinden, die auf Theater spezialisiert sind. Eine Verdolmetschung kann eine große Bereicherung sein, wenn sie sorgfältig geplant wird und professionell durchgeführt wird. Denn dann wird dem Publikum ermöglicht, die ganze Zeit auf die Bühne zu schauen, ohne Übertitel lesen zu müssen und sich stetig zwischen Schriftsprache und gesprochener Sprache hin und her bewegen zu müssen. Alle beschriebenen Faktoren sollten jedoch vor einer Entscheidung klar gewichtet werden.  

Vorbereitung

Wird sich für eine Verdolmetschung entschieden, müssen zunächst die technischen Voraussetzungen des Theaters/der Spielstätte geprüft werden. Es wird ein schalldichter, oder zumindest sehr ruhiger Raum benötigt, von dem aus gesprochen und gleichzeitig die Bühne eingesehen werden kann. Normalerweise wird bei spezialisierten Firmen die Dolmetsch-Technik, also Kabine, Kopfhörer und Sender, angemietet. Auf die Dolmetschkabine kann u.U. verzichtet werden, wenn es einen ruhigen Raum gibt, beispielsweise bei der Theater-Technik, der genutzt werden  kann. Abhängig von der Anzahl der Zuschauer:innen, die auf die Verdolmetschung angewiesen sind, kann entweder eine kleine Personenführungsanlage, die ggf. schon im Haus vorhanden ist, oder eine professionelle Dolmetsch-Technik verwendet werden. Für letztere gibt es verschiedene Anbieter, die meist auf Konferenzen spezialisiert sind, sich aber auch an Theaterbedingungen anpassen können.

Professionelle Dolmetscher:innen arbeiten meist mit lokalen Firmen zusammen und können beratend tätig werden. Sehr wichtig ist die Auswahl der Dolmetscher:innen, mit der die Qualität einer verdolmetschten Inszenierung steht und fällt. Es ist darauf zu achten, dass die Dolmetscher:innen sowohl ausgebildet als auch auf Theater spezialisiert sind.

Beim Einsprechen im Theater sind spezielle Sprecher:innenfähigkeiten gefordert. Es kommt  noch mehr als beim Konferenzdolmetschen auf die Stimmqualität an. Ein neutraler Sprechrhythmus ist besonders wichtig, so dass die Zuschauer:innen alle sprachliche Emotionalität, jedes Lauterwerden etc. von den Spielenden auf der Bühne rezipieren können, sich der/die Dolmetscher:in sozusagen unbemerkt mit seiner/ihrer Stimme zwischen Bühne und Publikum begibt und möglichst wenig Aufmerksamkeit auf sich zieht. Gleichzeitig muss natürlich der literarische Text und der Inhalt so vollständig wie möglich wiedergegeben werden. Bisweilen lesen professionelle Sprecher:innen oder die Übersetzer:innen den übersetzten Text einfach parallel zur Inszenierung ein, was stimmlich schön sein kann, aber aufgrund der fehlenden Dolmetschkompetenzen wird die Möglichkeit verschenkt, spontan auf Improvisationen einzugehen und live zu dolmetschen. Daher überwiegen die Vorteile der professionellen Verdolmetschung.

Beim Dolmetschen wird der dramatische Text ebenfalls gekürzt, aber nicht so stark wie bei der Übertitelung, weil ein simultanes Hören und Sehen erfolgen kann. Wichtig ist auch, dass den Schauspieler:innen die dolmetschende Person kurz vorgestellt wird, so dass ggf. besprochen werden kann, wie mit Improvisationen umgegangen wird, ob es beispielsweise Besonderheiten gibt, auf die von beiden Seiten zu achten ist. Natürlich kann der/die Dolmetscher:in auch im Vorfeld und während des Aufbaus helfen und die Verständigung zwischen dem Gasttheater und dem Produktionsteam erleichtern.

Übersetzung

Eine Inszenierung im Theater kann nicht ohne Vorbereitung gedolmetscht werden, im Vorfeld muss immer eine spezielle Übersetzung angefertigt werden.

Der Ausgangstext für diese Übersetzung ist der auf der Bühne gesprochene, theatrale Text, der kontextgebunden und Teil des gesprochenen Spiels ist. Die Grundlage für die Übersetzung bildet wie bei der Übertitelung das gesprochene Wort auf der Bühne und nicht der dramatische Text, sie  wird anhand einer aktuellen Aufzeichnung mit Hilfe des Regiebuchs mit allen aktuellen Strichen erstellt.  Im Gegensatz zur Übertitelung folgt die Übersetzung für die Verdolmetschung den gleichen Prämissen wie jede Dramenübersetzung für die Bühne, nämlich denen der Sprechbarkeit, Spielbarkeit, Atembarkeit etc., da die Übersetzung während der Aufführung simultan eingesprochen werden muss.

Zudem muss sie an das Tempo der Ausgangssprache angepasst und ggf. gekürzt werden, damit die Verdolmetschung ruhig und sachlich gesprochen werden kann. Die Verdolmetschung addiert sich dann ebenso wie Übertitel zum Bühnengeschehen. Meist hört das Publikum mit einem Ohr der Verdolmetschung und mit dem anderen Ohr dem Bühnengeschehen zu. Das heißt, ähnlich wie bei der Übertitelung werden Musik, Geräusche, Lautstärke, allgemein verständliche Eigennamen etc. direkt rezipiert. Der übersetzte Text wird aber nicht von einem mündlichen zu einem schriftlichen Text wie bei anderen Formen des Sprachtransfers, sondern bleibt mündlich.

Zudem muss der Text für das Einsprechen häufig gekürzt werden. Die Gründe hierfür liegen in der unterschiedlichen Grammatik und dem Aufbau bestimmter Sprachkombinationen oder dem Sprechtempo der Schauspieler:innen. Im besten Fall bleibt die Verdolmetschung ruhig und sachlich, und gibt wieder, was auf der Bühne gesprochen wird. Bei übereinander sprechenden, sich ins Wort fallenden Schauspieler:innen müssen die Dolmetscher:innen im Vorfeld eine sorgsame Auswahl der Repliken treffen, die sie wiedergeben möchte, da alle gleichzeitig natürlich von nicht einer Person gesprochen werden können. Hier kann ggf. auch gemeinsam mit Regie und Dramaturgie eine Auswahl getroffen werden. Ebenso müssen natürlich alle schriftlichen, projizierten Textteile mit verdolmetscht werden.

Für die Verdolmetschung ist außerdem wichtig, zu überlegen, ob auf bestehende Übersetzungen zurückgegriffen werden soll oder eine neue, speziell auf die Inszenierung zugeschnittene Übersetzung sinnvoll ist.

Wichtig ist auch hier immer zu beachten, dass die Verdolmetschung lediglich eine ergänzende Funktion hat. Die auf der Bühne geäußerte Sprache steht in wechselseitiger Beziehung zur Stimme der Dolmetscher:innen. Das Spiel mit der Sprache, die Emotionalität, die Musik etc. bleiben der Bühne überlassen. Nichts ist störender, als wenn die Dolmetscher:innen anfangen mitzuspielen.

Ergänzend zu der schriftlichen Übersetzung lohnt sich häufig ein vorheriges Gespräch mit den Spieler:innen, um auf Improvisationen oder Unsicherheiten bestmöglich reagieren zu können.

Je sorgfältiger die Übersetzung als Vorlage vorbereitet wird, desto besser kann die Verdolmetschung gelingen.

Sprecher:innen

Wird sich für eine Verdolmetschung im Theater entschieden, sollten sich alle Beteiligten bewusst sein, dass die Dolmetscher:innen an diesem Abend auch eine Rolle in der Inszenierung spielen – vom Textumfang her sogar eine Hauptrolle. Daher sollte bei der Auswahl von Theaterseite auf Professionalität geachtet werden und von Seiten der Dolmetscher:innen darauf, dass die Theaterverdolmetschung eine besondere Herausforderung darstellt, die von anderen Einsatzgebieten abweicht und einer besonderen Vorbereitung bedarf.

Es sollten professionelle Dolmetscher:innen engagiert werden, die sowohl Erfahrungen im Theaterdolmetschen als auch in Dramenübersetzung haben. Weiterhin sind Rhythmusgefühl, eine geeignete Stimme sowie Einfühlungsvermögen ausschlaggebend.

Wichtig ist, dass die Dolmetscher:innen den Rhythmus der Inszenierung mit ihrer Stimme nachvollziehen, dass die Pausen respektiert werden und Redundanzen im Text genutzt werden, um dem Publikum möglichst oft die Gelegenheit zu geben, den Originaltext von der Bühne zu hören. Um nicht zu sehr vom Bühnengeschehen abzulenken, empfiehlt sich eine klare Sprechweise, die ruhig und sachlich den Text übermittelt. Die Dolmetscher:innen vermitteln also zwischen den Schauspieler:innen, den Bühnengeräuschen, der Musik und dem Publikum. Idealerweise hat das Publikum das Gefühl, es würde ihm unaufdringlich der theatrale Text eingeflüstert.

Da auf der Bühne ausgebildete Schauspieler:innen zu hören sind, ist der Anspruch des Publikums an Intonation und Duktus, mit dem der literarische Text vorgetragen wird, sehr hoch. Dafür ist eine Sprecher:innen-Ausbildung sehr hilfreich – und Theatererfahrung unabdingbar. Ein:e gute:r Theaterdolmetscher:in spielt nicht mit, er/sie spricht ruhig und sachlich, übermittelt den Text im Rhythmus.

Wichtig ist auch, dass akzentfrei gedolmetscht wird. Ein starker Akzent kann bei einer verdolmetschten Inszenierung sehr irritierend wirken und im Extremfall sogar dazu führen, dass das Publikum sich nicht auf die Aufführung einlassen kann und die Kopfhörer absetzt und ganz auf eine Übersetzung verzichtet.

Normalerweise müssen sich Simultandolmetscher:innen regelmäßig abwechseln, da die Parallelität von hören, übersetzen und sprechen kognitiv sehr belastend ist und nicht länger als eine halbe Stunde geleistet werden kann. Beim Theaterdolmetschen wird aber mit einer gut vorbereiteten Übersetzung gearbeitet, somit kann die Einsatzzeit der Dolmetscher:innen verlängert werden. Es ist es im Theater durchaus üblich, dass das Publikum die Stimme der Sprecher:innen die ganze Aufführung lang hört. Wichtig ist daher, dass die Dolmetscher:innen Vertrauen zu ihren Zuhörer:innen herstellen. Das können sie einerseits, in dem sie beispielsweise Kulturspezifika kurz erläutern, sich im Vorfeld an ihre Zuhörer:innen wenden und vor allem durch sehr sorgfältige Vorarbeit.

Manchmal kann es auch sinnvoll sein, zwei Dolmetscher:innen einzusetzen, einerseits um die Belastung für die Dolmetscher:innen zu reduzieren, andererseits können so Rollen von unterschiedlichen Sprecher:innen gesprochen werden. Bei eingespielten Teams kann das sehr gut funktionieren, es muss aber besonders gut vorbereitet werden.

Die Schauspieler:innen haben für die Inszenierung oft mindestens sechs Wochen geprobt, daher sollte es selbstverständlich sein, dass ein:e Dolmetscher:in seinen/ihren Text auch mehrfach probt. Denn ein falsch betonter Text von Elfriede Jelinek oder ein Text von Heiner Müller, mit starkem Akzent eingelesen, kann inhaltliche Auswirkungen haben und zudem das Publikum stark irritieren.

Theaterdolmetscher:innen sollten nie vergessen, dass sie - sobald das Publikum die Kopfhörer aufsetzt - eine wichtige Rolle im Stück übernehmen.

Technik

Für eine Verdolmetschung sollten technische und logistische Paramater im Vorfeld gemeinsam mit den technischen Abteilungen geklärt werden. Es muss erörtert werden, wo die Dolmetscher:innen sitzen und einsprechen, ob eine Dolmetschkabine inkl. Kopfhörern und Technik ausgeliehen wird etc.. Häufig kooperieren Dolmetscher:innen mit technischen Ausstatter:innen und können hier mit Kontakten helfen, bisweilen verleihen sie auch selbst Technik. Manche Häuser verfügen bereits über kleine Personenführanlagen (etwa 15-30 Kopfhörer), die beispielsweise für kleine Spielstätten oder einen geringen Anteil an Zuschauer:innen, die auf die Verdolmetschung angewiesen sind, ausreichend sind.

Ansonsten wird Dolmetsch-Technik üblicherweise angemietet. Im Fall einer Anmietung werden meist Gesamtpakete mit Kopfhörern, Dolmetschkabine, betreuenden Techniker:innen etc. angeboten. Wichtig ist auch mitzudenken, dass Personal im Theater zur Verfügung stehen muss, das die Einweisung und die Ausleihe der Kopfhörer organisiert. Entweder die Firma, die die Technik verleiht, macht das mit oder aus dem Haus muss jemand abgestellt werden.

Es gibt einige auf Dolmetschtechnik spezialisierte Firmen. Hier lohnt sich die regionale Recherche im Internet oder das Nachfragen bei Dolmetscher:innen im Umfeld.

Die bei Konferenzen genutzten Dolmetsch-Anlagen können auch gut im Theater genutzt werden, aber es sollte, wenn möglich, darauf geachtet werden, Kopfhörer mit nur einem Ohrstück oder Knochenschall-Kopfhörer zu nutzen, die die Ohren freilassen, um so dem Publikum das Mithören des gesprochenen Textes auf der Bühne zu ermöglichen. Meist sind allerdings Kopfhörer mit zwei Ohrstücken in der Ausleihe. Hier besteht noch Nachbesserungsbedarf, um eine ideale, für Theater adaptierte Ausrüstung in die Ausleihe zu bringen.

Suche