Schlaglicht Spielplan
In der Rubrik SCHLAGLICHT SPIELPLAN untersuchen wir in regelmäßigen Abständen die Spielpläne deutschsprachiger Theater unterschiedlicher Größe und Ausrichtung und unternehmen den Versuch, aktuelle Trends und thematische Schwerpunkte zu bestimmen.
Spielplangestaltung in Zeiten der Pandemie
Ein Gespräch mit Eva Lange / Carola Unser (Hessisches Landestheater Marburg), Matthias Schulze-Kraft (Lichthof Theater Hamburg) und Harald Wolff (Münchner Kammerspiele, Vorsitzender der Dramaturgischen Gesellschaft)
THEATERÜBERSETZEN.DE: Unsere Rubrik SCHLAGLICHT SPIELPLAN soll eigentlich einen Einblick in die Trends der aktuellen Spielpläne geben. Aufgrund der Pandemie ist die Situation aber immer noch eine besondere. Viele Theater veröffentlichen kaum langfristige Spielpläne. Daher wollen wir die Rubrik mit der Frage eröffnen: Was bedeutet es im Moment, einen Spielplan zu gestalten? Planerisch ist es auf jeden Fall eine große Herausforderung. Aber was genau bedeutet es für die Inhalte der wieder aufgenommenen und neu angesetzten Produktionen?
EVA LANGE: Wir haben in Marburg gerade Endproben von „Biedermann und die Brandstifter“. Das ist der dritte Probenprozess. Es gab noch keine Premiere, nur eine „GP mit Sternchen“. Also, eine Art Premiere ohne Publikum. Aktuell probt die Regisseurin nun mit einer teilweise neuen Besetzung, denn der ganze Prozess hat so lange gedauert, dass manche Menschen schon gar nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Pandemie führt also dazu, dass man den gleichen Text mit unterschiedlichen Spieler:innen untersucht, was durchaus interessant sein kann. Die, die noch dabei sind, schauen mit einem anderen Probenstand auf den Text. Und daraus entsteht wieder etwas Neues.
CAROLA UNSER: Wir sind ja ein Landestheater, das heißt, wir haben vertraglich die Verpflichtung, Klassiker, zeitgenössische Dramatik und Schulstoffe zu behandeln. Und wir haben ein Gastspielgeschäft. Da müssen wir schon auch nach Titeln gucken. Die Planung ist sehr langfristig. Zum Teil zeigen wir jetzt Stücke, die wir lange vor der Pandemie vereinbart haben.
Ich habe den Eindruck, als gäbe es im Moment eine gewisse Sehnsucht nach Leichtigkeit – ich will jetzt nicht sagen, nach etwas Lustigem, aber irgendwie nach etwas, das Hoffnung spendet. Wo ich noch vor vier Jahren unbedingt dafür plädiert hätte, Finger in Wunden zu legen – und das muss man wahrscheinlich auch weiter tun – , gibt es jetzt eine neue Sehnsucht nach Versöhnlichem. Nach Stoffen, die Brücken bauen, die das Gemeinsame betonen und nicht das Trennende. Das würde ich inhaltlich schon als Veränderung beschreiben wollen.
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Diese Erfahrung, dass einzelne Projekte mehrfache Probenprozesse hatten, haben wir auch gemacht.
Die thematischen Vorlaufzeiten im freien Theater sind ja meist auch recht lang. Mein Einfluss auf eine Art Spielplangestaltung ist denkbar gering. Ich kann nur einen Rahmen setzen und bestimmte Leute heranziehen. Aber letztlich sind es immer Jurys, die unseren Spielplan gestalten, indem sie Geld geben oder nicht. Von daher hat gar nicht so sehr eine inhaltliche Veränderung stattgefunden, sondern eher eine formale.
Im ersten Lockdown haben wir uns sehr schnell mit Streaming-Technik ausgestattet und haben sofort das Angebot an alle formuliert: „Ihr könnt eure Sachen in einer relativ guten Qualität im dafür geschaffenen Lichthof Lab umsetzen“. Es war uns einfach wichtig, Arbeitsgelegenheiten zu schaffen für Künstler:innen, die ja wortwörtlich im Freien standen. Da haben wir nicht lange darüber nachgedacht, was es inhaltlich bedeutet. Wir wollten eine Möglichkeit schaffen, dass die Leute ihre Projekte realisieren können. Und dabei sind wirklich interessante Projekte herausgekommen, die teilweise eben auch einer ganz neuen Dramaturgie folgen. Wie ein eigenes Genre.
HARALD WOLFF: Zu Beginn des Lockdowns haben wir an den Kammerspielen eine klare Entscheidung getroffen, nämlich, dass wir an Verträgen festhalten. Die freien Künstler:innen sind ja von diesen Geldern abhängig. Und es gab eine, wie ich finde, gewaltige Solidarität der festangestellten Theaterschaffenden mit den Freien, sie haben in wenigen Wochen über 200.000 Euro für die von Lisa Jopt initiierte Corona-Miete-Aktion gespendet haben. So einen Schulterschluss zwischen Stadttheater und Freier Szene hat es noch nie gegeben.
Was die Theater insgesamt betrifft: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass gerade in dieser Zeit so viele Grundsatzdiskussionen, die dringend geführt werden müssen, in dieser Vehemenz hochgepoppt sind. Diese Diskussionen wären auch ohne Pandemie gekommen, aber vielleicht nicht so massiv, nicht so schnell, nicht so radikal, nicht an so vielen Stellen gleichzeitig.
Was mich frustriert: Die Inhalte haben sich vielerorts viel zu wenig verändert. Einfach weitermachen wie bisher ist ja keine Reaktion. Und auch die Formen: Es gibt ein gewaltiges, ein ganzes Universum an Tools, mit dem man Dinge machen kann, die gar nichts mehr mit einer klassischen Bühne zu tun haben müssen. Und da fängt es erst an, interessant zu werden. Da hätten wir als Theaterschaffende noch innovativer sein können. Auch strukturell. Digital zu produzieren ist ja entgegen der allgemeinen Vorstellung sehr, sehr günstig. Denn wenn es einmal da ist, kann es ja überall gezeigt werden. Wenn also nicht jeder immer Exklusivität beanspruchen würde, könnte man über Koproduktionen mit relativ wenig Geld sehr schnell einen ganzen digitalen Spielplan zusammenstellen.
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Ich glaube, die Chancen haben wir gar nicht so sehr verpasst. Das Bewusstsein für die Möglichkeiten des Digitalen ist enorm gewachsen. Das, was wir da gelernt haben, ist nicht verloren. Im Moment fehlt uns vielleicht die Zeit, das weiter auszubauen. Ich bin aber überzeugt, das ist nicht weg.
HARALD WOLFF: Es wird ganz viel bleiben, aber es wäre auch noch viel mehr Aufregendes möglich. Und es gehen auch schon wieder Formate verloren, werden nicht weiter verfolgt, sobald die Bühnen wieder auf sind. Obwohl die digitalen Medien auch Chancen für ein ganz anderes Publikum bieten. Was wir alle, vielleicht bis auf die Schaubühne und das Berliner Ensemble, viel zu wenig gemacht haben, ist zu begreifen, dass die Streams weltweit sichtbar sind. Wenn man da mit Untertiteln arbeitet, kann man in die entsprechenden Sprachräume reingehen. Und so etwas könnte man auch fest verankern in der Planung. Ich nehme aber nicht wahr, dass das auf breiter Basis passieren würde.
Gibt es auch inhaltliche No-Gos? Ist mal ein künstlerisches Team oder ein:e Künstler:in auf euch zugekommen und hat gesagt: Das, was geplant war, geht jetzt so einfach gar nicht mehr?
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Bei uns nicht. Ich finde sogar, dass sich die Künstler:innen viel zu wenig den Themen der Pandemie angenommen haben. Das ist meine große Enttäuschung, dass die gesellschaftlichen Prozesse der Pandemie künstlerisch kaum aufgegriffen wurden. Die meisten machen so weiter wie vorher. Ich würde mir eigentlich wünschen, dass das noch viel mehr durchdrungen wird. Wir brauchen eine künstlerische Auseinandersetzung mit diesen Themen. Aber das findet erstaunlicherweise nicht statt. Fast als würden die Künstler:innen die Auseinandersetzung mit diesen Themen meiden.
CAROLA UNSER: Aber dann müsste man vielleicht erstmal klären, was sind denn die Themen der Pandemie? Was sind die Themen, die durch die Pandemie verschärft wurden oder noch mehr aufs Tapet kamen?
Bei uns wäre das zum Beispiel das Thema NSU, das wurde bei uns in Hessen jetzt sehr viel stärker angegangen. Aber dieses Thema schwelte ohnehin schon. Was wären sonst noch Themen?
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Themen wie Freiheit, Identifikation, Zugehörigkeit. Diese ganzen Spaltungsthemen. Individualität versus Sozialität. Wenn wir sagen, wir machen im Theater Diskursräume auf, gesellschaftliche Diskursräume, dann finden die mir im Moment zu wenig statt.
EVA LANGE: Ich würde das ein bisschen anders sehen. Gerade in Bezug auf neue Texte.
Wir hatten eine Uraufführung von Anah Filou geplant. Dann kam die Pandemie, und die Autorin hat weitergeschrieben im Austausch mit dem Team über Dinge, die während der Proben besonders wichtig waren. Zum Beispiel diese ganze Machtproblematik im deutschen Stadttheatersystem. Anah Filou hat dieses Machtthema in einem Monolog, den es vorher nicht gab, ins Stück integriert. Es war ein neuer Text, ein neuer Beitrag zum Thema, aber sozusagen mit in einer künstlerischen Drehung.
Wir haben auch Aufträge an Autor:innen erteilt während der Pandemie. Wir hatten zum Beispiel ein literarisches Telefon, bei dem wir explizit nur neue Dramatik präsentiert haben, extra für dieses Telefon geschriebene neue Texte. Das hätten wir ohne die Pandemie nicht gemacht.
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Aber wurden da tatsächlich auch andere Inhalte verhandelt als vorher?
EVA LANGE: Ja, ich hatte schon den Eindruck. Weil wir explizit gesagt haben, sie sollen vom Hier und Jetzt ausgehen. Themen wie Vereinsamung, Alleinsein waren zum Beispiel schon stark drin.
HARALD WOLFF: Die politische Reaktion auf die Pandemie war ja vor allem, dass irrsinnig viel Geld losgeeist wurde. Zu einem einzigen Zweck, nämlich den Status Quo zu erhalten. Es gab gar keinen inhaltlichen Gestaltungswillen. Das ist fatal, denn jetzt kommen die Kürzungen, auch wieder ohne inhaltliche Verständigungen. Das viele Geld wurde eben nicht genutzt, um die zukünftigen Strukturen zu schaffen, die wir brauchen werden, Stichwort Klimawandel. Da gab es keinerlei Proteste. Aber jetzt, wo das Geld umgewidmet werden soll zur Zukunftsgestaltung, wird die Regierung vors Verfassungsgericht gezerrt. Was sagt das über uns als Gesellschaft?
Und ähnlich war das in der Kunst. Und ich meine das jetzt strukturell, nicht in Bezug auf ein spezifisches Haus. Wir verschieben einfach, was wir vorhaben und machen es dann später? Weiter wie bisher kann eigentlich keine Antwort sein, aber natürlich – niemand hat im März 2020 Antworten gehabt. Die gewaltige Veränderung in der Gesellschaft, die das bedeutet, wird uns künstlerisch noch über Jahre beschäftigen. Ich glaube, es wird dauern, bis es da Antworten gibt, das kommt erst mit einer großen Zeitverzögerung.
Auch wenn die Spielplangestaltung oft langfristig ist, Lücken im Spielplan gibt es ja doch immer wieder. Plant ihr da in Zukunft Projekte, die ohne die Pandemie nie denkbar gewesen wären? Gibt es neue Impulse?
CAROLA UNSER: Auf jeden Fall. Es gibt Themen, an denen kommt man jetzt nicht mehr vorbei, als hätte eine Zeitenwende im Theater stattgefunden. Es wird ja auch immer vom Brennglas der Pandemie gesprochen. Ob das jetzt rassismuskritische Haltung ist, ob das die anti-sexistischen Debatten sind, ob es die Machtdiskussionen sind. Und das macht eben auch etwas mit den Stoffen.
Und vielleicht ist es manchmal auch ganz gut, dass man einfach mal sucht. Was es denn gerade ist, was wir hier auf unseren Brettern verhandeln wollen und wie. Ich hätte die Hoffnung, dass wir in der Pandemie gelernt haben, dass wir nicht immer nur schnell sein müssen.
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Im freien Bereich geht es uns da im Moment komplett anders. Zuerst waren da ganz viele Existenzängste, wo natürlich kein Raum blieb, über Künstlerisches oder Inhalte nachzudenken. Und dann kam das Füllhorn der Projektförderung der Bundesregierung über die Freie Szene, und alle sind wie wahnsinnig am Arbeiten. Ich habe vorhin mal durchgezählt, im Lichthof Theater haben wir 28 Premieren in dieser Spielzeit. Das ist wirklich ein Wahnsinn. Wir haben jede Woche eine neue Premiere. Da wird durchlauferhitzerartig produziert.
Es wird 2023 einen großen Absturz geben im freien Bereich, weil die ganzen Töpfe zugehen werden. Davor fürchte ich mich jetzt schon. Vielleicht bleibt dann die Möglichkeit zu reflektieren?
HARALD WOLFF: Der ganze Bereich der Digitalität hat sich strukturell anders verankert. In Erlangen, Augsburg, Mannheim, Köln und Nürnberg etwa sind ganz neue Sparten entstanden. Und auch wir planen in den nächsten Jahren das Schaffen von Strukturen mit gewaltigen Mitteln im sechsstelligen Bereich – mal sehen, was die Kürzungen davon noch übrig lassen. Und ganz konkret: Theaterabende, die live gleichzeitig in Lomé in Togo und München stattfinden – das gab es vorher nicht. Und unser Artist in Residence, Luis Krawen, plant einen abendfüllenden 3D-animierten Film nach einem Science-Fiction-Roman, als Vorstellung, im Theatersaal. Ich bin nicht sicher, ob das ohne die Erfahrungen der letzen 2 Jahre möglich gewesen wäre.
Was bedeutet die Pandemie im Hinblick auf die Publikumszusammensetzung? Bringt uns die Zukunft vielleicht eher einen Fokus auf ein regionales, lokales Publikum? Auch aus Gründen der Nachhaltigkeit? Oder ist die Sehnsucht nach globaler Interaktion einfach sehr, sehr groß?
CAROLA UNSER: Ich merke, dass ich durch die Pandemie jetzt bei jedem analogen Theaterabend denke, wie krass, dass wir zusammen in diesem Raum sind. Bei Gastspielen, die sehr rar geworden sind, denke ich, Wahnsinn, es gibt sie noch. Ich merke da eine große Demut, eine große Wertschätzung gegenüber dem, was einst ganz normal war.
Und gleichzeitig würde ich zustimmen, diese Möglichkeit, mit der ganzen Welt zu kommunizieren, macht es leichter. Ich habe eine unglaubliche Sehnsucht nach großer weiter Welt und nach Über-den-Tellerrand-Schauen, weil ich denke, dass wir in der Pandemie schon sehr auf unsere kleine BRD fokussiert waren. Wir müssen endlich begreifen, dass wir nicht nur im wirtschaftlichen Sinne globalisiert sind, sondern dahin müssen, uns auch als Weltgemeinschaft zu verstehen.
Und in Bezug aufs Publikum: Was ist unser Publikum? Natürlich gibt es da einen Publikumsstamm. Aber worunter wir total gelitten haben, ist, dass die Schulen einfach wegblieben und dass da eine ganz rigide Politik gefahren wurde.
Deswegen: Im besten Falle beides. Transnationale Kooperationen in der hessischen Fläche. Sowas fände ich super.
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Bei uns gibt es vor allem thematisch orientierte, beziehungsweise an Produzierende oder Produktionen angebundene Publika, aber nicht das eine Publikum. Insofern kann ich gar nicht lokal denken, sondern nur themenbezogen. Da haben uns tatsächlich Streams geholfen, die haben neue Welten aufgemacht. Wir haben Veranstaltungen im Lichthof Lab gehabt, bei denen nur noch 30% aus Hamburg kamen. Wir haben Tickets verkauft zwischen Kanada und Taiwan, je nachdem, um was es thematisch ging. Das sind natürlich enorme Möglichkeiten. Da passiert etwas ganz Seltsames, wo nicht mehr die Größe einer Institution ausschlaggebend ist für ihre Relevanz, sondern die Relevanz der Themen.
HARALD WOLFF: Ich würde auch sagen, internationale Kooperation war noch nie so einfach – und so günstig! - wie jetzt mit den neuen Kulturtechniken, die wir gelernt haben, und daraus werden auch neue Dinge erwachsen.
Was die Frage der Nachhaltigkeit angeht: Auf künstlerischen Austausch über nationale Grenzen hinweg zu verzichten wäre katastrophal. Gesellschaftlich wird es darauf ankommen, die Qualität von Begegnungen zum Maßstab zu machen. Wir werden Werturteile fällen müssen, wofür wir CO2 aufwenden wollen.
Würdet ihr zum Abschluss vielleicht noch eine Bitte oder einen Wunsch an die Autor:innen und Übersetzer:innen formulieren wollen?
MATTHIAS SCHULZE-KRAFT: Ich würde mir wünschen, dass die Autor:innen über eine Veränderung in ihrem Berufsfeld nachdenken, wenn sie mit der freien Szene kooperieren wollen. Denn gleichzeitig sehe ich da einen unglaublichen Bedarf an guten Texten in freien Projekten. Vieles entsteht auf den Proben oder im Rechercheprozess, bei Interviews. Ich würde mir manchmal wünschen, dass wir da Autor:innen hinzuziehen. Aber es würde eben auch ein anderes Verständnis des Berufes der Autor:in erfordern. Eine Person, die mehr auf den Proben ist und eher ad hoc Text produziert als in langen einsamen Arbeitsphasen.
HARALD WOLFF: Die Pandemie zeigt sehr klar Bruchlinien auf. Auch in Bezug darauf, wie prekär Autor:innenschaft im Theater ist. Ich glaube, wir brauchen prinzipiell ein neues Verhältnis vom Theater zu Autor:innen.
Spielen vor nur 25% Zuschauer:innen bedeutet für Autor:innen eine finanzielle Katastrophe. Das Tolle daran ist eigentlich: Man kann endlich Gegenwartsdramatik ohne jedes Risiko machen. Sonst argumentieren ja manche, dass da nicht genug Leute kommen, aber das ist bei einer Auslastung von 25 % auch schon wurscht. Wir könnten ohne jedes Risiko so innovativ sein wie nie zuvor. Aber dieses Zeitfenster schließt sich bereits wieder, und das ist nicht in dem Maße genutzt worden, wie es, sagen wir mal, ästhetisch wünschenswert gewesen wäre. Oder notwendig.
Ich glaube auch, dass kollaboratives Arbeiten die neue Form ist und dass da immer mehr Autor:innen reintauchen. Ich glaube aber trotzdem, dass es auch starke solitäre literarische Stimmen braucht.
CAROLA UNSER: Ich denke vor allem, wir sollten nicht die verschiedenen Berufsgruppen gegeneinander ausspielen, sondern überlegen, welche Kollaborationen können wir schließen, um einer Gesellschaft zu sagen, hey, uns gibt es, und zwar geschlossen. Welche Strukturen können wir schaffen, damit Menschen ihre Arbeit tun und auch davon leben können. Das wäre ein Wunsch von mir.
Und vielleicht ist es auch ein Weg, da neue Strukturen zu schaffen. Wir haben noch vor der Pandemie die erste Stadtschreiberin Marburgs installiert. Wenn jede Stadt eine Stadtschreiberin hätte, hätten wir schon ganz schön viele Autor:innen in Lohn und Brot. Für eine gewisse Zeit. Und gut für eine Stadt ist es auf jeden Fall auch.
EVA LANGE: Und bleibt bitte trotzdem immer Zumutung. Ich finde es immer noch einen starken Moment, wenn da ein Text kommt, an dem wir uns die Zähne ausbeißen, der uns zu Neuem treibt.
Ich fand auch diese Frage in der „Deutschen Bühne“ sehr spannend, die Frage nach dem Well-Made-Play. Was könnte das heute sein? Weil es sicherlich eine Sehnsucht von bestimmten Zuschauer:innen gibt nach so etwas wie einer Geschichte und Geschichten. Genauso hat man aber auch Zuschauer:innen, die einfach ein Experiment wollen und zwar ein maximales Experiment und umso experimenteller, umso genialer. Und auch mitgehen bei Sprachkunstwerken aller Art.
Insofern, seid frei!
Spielplangestaltung und Festivals
Ein Gespräch mit Matthias Döpke (Schauspiel Leipzig), Edith Draxl (Dramatiker/innen-Festival Graz), Bernd Isele (ATT, Deutsches Theater Berlin), Karla Mäder (Schauspielhaus Graz), Sandra Schüddekopf (Dramatiker/innen-Festival Graz)
THEATERÜBERSETZEN.DE: Wir wollen uns mit der Frage beschäftigen, welchen Einfluss Festivals zeitgenössischer Dramatik auf die Spielplangestaltung haben.
Beginnen wir mit einem Einblick in die heute hier vertretenen Festivals und ihre Kooperationen.
BERND ISELE: Ich kümmere mich gemeinsam mit den Kolleg:innen seit vier Jahren am Deutschen Theater um die Autor:innentheatertage. Natürlich sind auch die ATT in den letzten Jahren nicht immer regulär abgelaufen. Dazwischen gab es die Pandemiejahre. Im Normalfall aber teilen sich die ATT in drei Bereiche. Ein Gastspiel-Programm, bei dem wir die Möglichkeit haben, Uraufführungen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum einzuladen. Insofern sind wir so etwas wie ein Präsentationsfenster in der Hauptstadt für die Theater, die sich dezidiert um neue Dramatik kümmern. Außerdem begreifen sich die ATT als Forum. Es gibt viele Begegnungsformate. Das Festival möchte ein Ort sein, an dem über Fragen von Autor:innenschaft gestritten und gesprochen wird. Und dann gibt es noch den Wettbewerb. Das sind die drei Uraufführungen, die wir mit den Partner-Theatern produzieren. Die ATT sind ein produzierendes Festival, das sich selbst als Akteur versteht und nicht nur als Host.
KARLA MÄDER: Die Zusammenarbeit zwischen den ATT und dem Schauspielhaus Graz besteht jetzt seit drei Spielzeiten. Wir bekommen von der Jury eine Shortlist, dann lesen wir. Und dann gibt es eine gemeinsame Sitzung der Theater mit der Jury, um sich über die Stücke auszutauschen. Als besonders habe ich empfunden, dass die drei Theater im Aushandlungsprozess, wer was macht, wahnsinnig kollegial und solidarisch waren.
MATTHIAS DÖPKE: Das Schauspiel Leipzig ist jetzt auch seit drei Jahren dabei. Das Kollegiale untereinander kann ich auf jeden Fall bestätigen. Das Zusammentreffen mit der Jury war manchmal auch mit Spannung verbunden. Es gab Jury-Entscheidungen, die ich im ersten Moment überhaupt nicht nachvollziehen konnte, die mir aber im Nachhinein eine Lektion in Demut waren, wenn der jeweilige Text sich auf der Bühne dann doch bewährt hat.
EDITH DRAXL: Für uns vom Dramatiker/innen-Festival ist das Schauspielhaus Graz ja ebenfalls Partner. Wir machen das Festival gemeinsam, alle zwei Jahre in Verbindung mit dem Retzhofer-Drama-Preis. Wir selbst präsentieren die jungen Leute, die Leute, die im Kommen sind. Bei unseren Formaten geht es darum, die Texte zum lustvollen Anschauen aufzubereiten, aber niemandem eine Uraufführung wegzunehmen. Das ist der Spagat, den wir versuchen. Außerdem laden wir Gastspiele von Autor:innen ein, die mit uns verbunden sind. Das sind zum Teil auch Dinge, die in freien Kontexten produziert wurden, die vielleicht nicht so eingängig sind und/oder sich nicht für größere Räume eignen. Das Schauspielhaus hingegen präsentiert die arrivierteren Projekte – eigene und eingeladene. So bilden wir gemeinsam das ganze Spektrum der Gegenwartsdramatik ab.
KARLA MÄDER: Kurioserweise ist es eine arrangierte Ehe, vom Deutschen Literaturfonds arrangiert. Wir haben dort gleichzeitig um Fördergelder angesucht.
Im Vergleich zu den ATT ist unser Festival wuseliger und instinktiver, glaube ich. Vor acht Jahren war der Kerngedanke, dass die österreichische Literatursprache oft sehr auf Form aus ist. Und wir wollten da Inhalte reinbringen, vor allem durch den Kontakt mit internationalen Autor:innen, die ganz andere Themen und Dringlichkeiten hatten. Inzwischen hat uns aber die Geschichte global zusammengeschweißt und große Themen hervorgebracht, die uns alle betreffen.
Unser Festival will ebenfalls ein Ort der Begegnung sein. Der zwanglosen und ungeplanten Begegnung. Manchmal erfährt man erst später, dass eine österreichische Autorin mit einem spanischen Autor ein Projekt in Wien realisiert. So etwas zu stiften war von Anfang an unser Anliegen. Und das funktioniert sehr gut, eben auch durch die Lockerheit und das Wuselige, durch die spezielle Atmosphäre, die wir hier im Sommer haben.
SANDRA SCHÜDDEKOPF: Das Dramatiker/innen-Festival ist auch ein produzierendes Festival. Ich habe in den letzten zwei Jahren je eine Produktion inszeniert. Wir sind immer auf der Suche nach neuen Formaten und neuen Formen der Zusammenarbeit und des Austausches. Seit einer Weile haben wir einen Austausch mit Holland und den Flamen. Wir haben in einem gemeinsamen Prozess mit ihnen Texte ausgesucht, die wir im Festival vorstellen wollten und von denen wir dachten, dass sie Chancen hätten, auch in Spielpläne Einzug zu halten. Als Regisseurin ist es natürlich immer eine Herausforderung, mit so vielen Texten gleichzeitig umzugehen. Wir hatten dieses Jahr im Retzhofer-Drama-Preis 12 Texte bei den Erwachsenen und ungefähr genauso viele im Kinder- und Jugendbereich. Und wir wollen diese Texte nicht nur in Lesungen, sondern in einer Art szenischer „Übersetzung“ präsentieren.
EDITH DRAXL: Im Kern standen immer die Arbeitsateliers. Wir hatten über sechs Jahre die Möglichkeit, einen Autor, eine Autorin, einen Regisseur, eine Regisseurin zusammenzubringen, gefördert durch ein Stipendium vom Literaturfonds. Die haben beim Festival dann einen Arbeitsstand präsentiert. Wir wollten dadurch die Texte in die Diskussion bringen und auch an Produzenten vermitteln, was gar nicht so schlecht gelungen ist.
THEATERÜBERSETZEN.DE: Und welche Rolle spielt Übersetzung bei den Festivals?
BERND ISELE: Bei den ATT haben wir den Schritt ins Europäische im Grunde nie vollzogen. Das hat mit Berlin zu tun, es gibt hier ja u.a. das Find-Festival. Außerdem passiert wahnsinnig viel im deutschsprachigen Raum. Wir nehmen weit über 100 Produktionen zur Kenntnis, reisen 60, 70 an. Um das Feld noch weiter zu öffnen, fehlt uns die Infrastruktur. Die drei Gewinner-Texte lassen wir jedes Jahr übersetzen, weil wir internationale Gäste beim Festival haben, die diese Texte mitnehmen an ihre europäischen Heimattheater.
Generell habe ich das Gefühl, dass das Übersetzen bei Festivals eine große Rolle spielt, aber nicht immer im adäquaten Sinne. Es wird viel für die Tonne übersetzt, weil viel für Übertitel übersetzt wird, die dann nach dem Festival nicht mehr gebraucht werden. Da geht wahnsinnig viel Kraft und auch Geld verloren. Ich würde gerne darüber nachdenken, ob es da nicht bessere Lösungen gibt.
KARLA MÄDER: Was wir brauchen, sind Übersetzungen in eine Lingua Franca, nämlich ins Englische, um überhaupt fremdsprachige Literatur aus diversen Ländern zur Kenntnis zu nehmen. Aber das sind oft schnelle Übersetzungen, die der literarischen Qualität gar nicht richtig gerecht werden. Und trotzdem oft als Grundlage für weitere Übersetzungen dienen.
EDITH DRAXL: Das ist die Schwierigkeit, über die man sich eigentlich unterhalten muss. Wie man über Grenzen hinweg sprachliche Arbeit vermittelt. Macht man es funktional, damit man überhaupt folgen und gemeinsam mit dem visuellen Eindruck eine Idee von diesem Theaterabend bekommen kann? Oder will man eine literarische Übersetzung?
BERND ISELE: Das Problem ist, dass Übersetzung und Übersetzung nicht dasselbe meint. Das eine meint, wir haben einen russischen Regisseur, dem wir ein Stück anbieten wollen, der liest aber kein Deutsch, deshalb muss er es auf Englisch zur Kenntnis nehmen. Das andere ist eine literarische Übertragung eines literarischen Werks.
Wir hatten gerade eine Jelinek-Uraufführung. Und Elfriede Jelinek sagt, meine Stücke werden von Gitta Honegger übersetzt. Auch wenn es nur für die Übertitel ist. Das hat den Nachteil, dass das Theater schon fast eine ganze Übersetzung finanzieren muss. Es hat aber den Vorteil, dass am Ende ein Resultat steht, was in jeder Hinsicht brauchbar und nachhaltig ist.
EDITH DRAXL: Uns beschäftigt diese Frage immer wieder: Wie mache ich die Texte einem internationalen Publikum zugänglich? Eine vernünftige Übersetzung herzustellen ist eine Ressourcen-Frage. Dafür haben wir das Geld nicht. Wie geht man also damit um? Besonders, wenn es sich um Texte handelt, die stark aus sprachlichen Strukturen leben. Das sind Texte, die sich zum Teil sehr gut durchsetzen. Aber wenn die sprachliche Struktur, der Klang in der Übersetzung nicht transportiert werden kann, dann habe ich im Moment das Gefühl, es ist besser, man verzichtet darauf. Auch wenn das natürlich schade ist.
THEATERÜBERSETZEN.DE: Wie würdet ihr die Situation einschätzen in Bezug auf die Texte, die ihr in den letzten Jahren auf den Festivals präsentiert habt? Sind die Texte danach auch in anderen Häusern gezeigt worden? Oder hat sich eure Zusammenarbeit mit Autor:innen verstetigt?
EDITH DRAXL: Ein Beispiel wäre Miru Miroslava Svolikova. Wir waren sicher die Ersten, die Texte von ihr präsentiert haben. Und die Texte sind dann weitergewandert. Auch die Autorin selbst. Mit Europa flieht nach Europa zum Beispiel an die ATT. Oder Ferdinand Schmalz nach dem Retzhofer Drama-Preis.
MATTHIAS DÖPKE: Wir sind tatsächlich an allen drei Autor:innen drangeblieben. Und mit zwei von ihnen auch für die nahe Zukunft im Gespräch über Auftragswerke. Und Fischer Fritz von Raphaela Bardutzky, was wir erfreulicherweise bei der letzten Ausgabe hatten, wird jetzt ja auch in Graz nachgespielt. Das war ein Stück, das, glaube ich, alle drei Häuser gerne wollten.
KARLA MÄDER: Caren Jeß war vor ein paar Jahren auf der Shortlist des Festivals, ist dann aber nicht ausgewählt worden, mit Bookpink. Ich habe gegen den Widerstand sämtlicher Menschen bei uns am Haus dieses Stück durchgedrückt und gesagt: Ich glaube daran, das ist ein ganz tolles Stück. Und dann hatten wir eine schöne Uraufführung im Haus Drei, unserer kleinsten Spielstätte. Das wurde dann nach Mülheim eingeladen. Mit Caren haben wir seitdem eine ganz tolle Zusammenarbeit.
EDITH DRAXL: Teresa Dopler war im Festival auch sehr präsent und hat bei uns beim Forum Text teilgenommen. Jetzt ist sie eigentlich durchgesetzt.
SANDRA SCHÜDDEKOPF: Was unsere holländisch-flämische Partnerschaft angeht, würde ich zustimmen, dass schon einiges „für die Tonne“ übersetzt wurde. Da haben sich keine weiteren Dinge ergeben, außer die Produktion von Hirschfell von Anna Carlier, die wir selbst gemacht haben. Aber die anderen Texte haben nicht unbedingt den Weg in die Spielpläne gefunden. Ich frage mich, warum die Häuser manchmal nicht den Mut haben, auch gerade auf den kleineren Bühnen mal etwas mehr auszuprobieren.
THEATERÜBERSETZEN.DE: Tun sich Übersetzungen ins Deutsche bei der Aufnahme in die Spielpläne generell etwas schwerer?
KARLA MÄDER: Ich habe das Gefühl, Qualität setzt sich durch, egal in welcher Sprache.
Nehmen wir Lot Vekemans, übersetzt aus dem Holländischen, die landauf, landab gespielt wird, weil ihre Texte eine sprachliche oder inhaltliche Qualität haben, aber auch ausgesprochen spielbar sind in ihrem „Nichts-Haben-Wollen“. Also, klein, bescheiden. Machbar. Oder Wajdi Mouawad, auf den die Welt gewartet hat wie auf den Erlöser. Er schrieb Vögel, und alle haben den Text gespielt.
Ich würde sagen, es hängt von der literarischen Qualität und von der Tiefe der Auseinandersetzung mit dem Thema ab, ob Stücke jenseits ihres angestammten Kulturraums funktionieren können.
BERND ISELE: Mich hat unsere Eingangsfrage wirklich interessiert: Was haben Festivals mit Spielplänen zu tun? Ich habe daher mal nachgeschaut. Und es ist eine wirklich lange Liste mit Zweit- und Dritt-Inszenierungen geworden. Das hat mich verblüfft, weil ich das so aus früheren Jahren nicht so in Erinnerung hatte. Da geht es um Texte von Svea-Lea Kutschke, Maria Ursprung, Rosa von Praunheim, Nele Stuhler, Kevin Rittberger, Sarah Kilter und viele, viele andere. Ich finde das eigentlich eine ermutigende Entwicklung.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass – und das hat sicher bisschen mit der Pandemie zu tun – die Förderzentren, die Festivals, die Häuser, die sich um neue Dramatik kümmern, stark zusammengerückt sind. Ich habe das früher eher so erlebt, dass man auf „den eigenen Leuten“ beharrt hat. Dass man gesagt hat, das ist ein Heidelberger Autor, und das ist ein ATT-Autor. Das ist total weg, was ich superrichtig und wichtig finde.
EDITH DRAXL: Es gibt aber nach wie vor wenig Durchlässigkeit zu einer so genannten freien Szene. Nele Stuhler hat wunderbare Projekte gemacht, die wir beim Festival gezeigt haben, die große Begeisterung beim Publikum hervorgerufen haben. Aber als Autorin ernstgenommen wurde sie dann erst durch die Kooperation mit dem Deutschen Theater, mit den ATT. Das finde ich schade, weil ich glaube, dass sich die Theaterlandschaft da noch immer selbst um Wahrnehmungen und Entdeckungen bringt.
THEATERÜBERSETZEN.DE: Wie schätzt ihr generell die Lage der deutschsprachigen Dramatik ein? Jetzt, nach der Pandemie? Ist es eine gute Zeit für zeitgenössische Dramatik?
EDITH DRAXL: Die Verlage sagen, es geht abwärts. Wenn man den Lektor:innen zuhört, muss es im Moment ganz schön schwierig für zeitgenössische Dramatik sein. Das entnehme ich unseren Gesprächen, überprüfen kann ich es nicht.
KARLA MÄDER: Ich bin grundsätzlich eher optimistisch, glaube aber, dass zwei Dinge tatsächlich bedrohlich sein könnten. Das eine ist der Wunsch des Publikums nach Titeln. Es ist uns nicht gelungen, wie in Holland oder Belgien eine grundsätzliche Aufgeschlossenheit dem Neuen gegenüber herzustellen. Es ist nach wie vor eine Spezialist:innen-Nische.
Das andere Bedrohliche ist die virulente Aufgabe an die Theater, weniger zu produzieren, aber dafür qualitätsvoller. Und das betrifft natürlich auch die Spielwiese, die Talentkämmerchen, wo unter anderem zeitgenössische Dramatik sehr schnell produziert wurde. Die Frage ist: Wie kommt man zu einer qualitätsvollen, nachhaltigen neuen Dramatik, die auch künstlerisch nachhaltig ist? Die viel gespielt wird, breitenwirksam ist, über die Landesgrenzen, über die eigenen Uraufführungen, Theater hinaus? Ich glaube, das ist die große Aufgabe. Die Vielfalt ist bedroht.
SANDRA SCHÜDDEKOPF: Und da ist noch die Frage der Vermittlung ans Publikum. Wie schaffe ich eine Vermittlung, wenn die Namen und die Titel nicht bekannt sind? Meine Erfahrung ist, das Publikum ist theoretisch sogar da. Es weiß nur nicht, dass es mit diesem Abend vielleicht etwas anfangen kann. Was für Formate kann man entwickeln, um das Publikum in solche Stücke zu holen?
Außerdem halte ich es für wichtig, dass es weiterhin auch kleinere Formate gibt, Raum für Autor:innen, deren Arbeiten experimenteller sind und zunächst scheinbar nicht für ein großes Publikum funktionieren.
THEATERÜBERSETZEN.DE: Gibt es da einen Unterschied zwischen den Regionen, den Großstädten und den mittleren und kleinen Städten?
MATTHIAS DÖPKE: Auf jeden Fall. In diesem Punkt fühle ich mich hier in Leipzig manchmal wie auf der Insel der Glückseligen. Wir machen viele Uraufführungen und fahren damit bei unserem Publikum erstaunlich gut. Ein Stück wie White Passing ist eigentlich immer ausverkauft. Ich weiß aus Erfahrung, dass so eine Konzentration auf neue Dramatik schwierig umzusetzen ist, wenn der Spielplan in erster Linie für ein Abo-Publikum gemacht werden muss. Aber in Leipzig, wo sich fast alles an der Abendkasse und über Mund-zu-Mund-Propaganda entscheidet, da geht so etwas gut. Wir arbeiten zum Beispiel auch mit einer finnischen Autorin, E.L. Karhu, und ihrem Übersetzer. Wenn man die Kontakte hält, kennt das Leipziger Publikum diese Autorin natürlich auch irgendwann.
Bei der Spielplangestaltung betrachten wir die Spielstätten getrennt. In der Diskothek läuft nur Gegenwartsdramatik. Das war schon mit Intendanzbeginn eine klare Setzung, dass diese Spielstätte der neuen Dramatik gewidmet ist.
KARLA MÄDER: Das ist bei uns auch so mit dem Haus Zwei und dem Haus Drei. Ab und zu, wenn wir einen großen Stoff finden, auch das Haus Eins. Aber solche Stoffe sind natürlich schwer zu finden.
MATTHIAS DÖPKE: Das geht uns ähnlich.
BERND ISELE: Meine eigene Sehgewohnheit ist eine sehr besondere. Ich besuche viele Uraufführungen. Deshalb bin ich immer voll von diesen Erlebnissen, und denke, was haben denn alle, was gibt es denn zu meckern an der Lage der zeitgenössischen Dramatik? Aber ich bewege mich eben in einer Nische.
Es gibt durchaus kleine Häuser, Bamberg zum Beispiel, die sich auf zeitgenössische Dramatik spezialisieren. Die das nicht als Feigenblatt, sondern aus einer großen Liebe heraus tun, es in die Stadt hineintragen. Die Dinge entdecken, Dinge voranbringen.
MATTHIAS DÖPKE: Und die Theater sind in den letzten Jahren tatsächlich mehr zusammengerückt und kollegialer geworden sind. Diesbezüglich leben wir auf jeden Fall in guten Zeiten.
Herausforderungen und die Rolle der Gegenwartsdramatik
Teilnehmer:innen: Esther Holland-Merten (Theater am Werk / Wien), Bastian Lomsché (Theater Magdeburg), Felicitas Zürcher (Bühnen Bern)
THEATERUEBERSETZEN.DE: Wir wollen uns heute über die Herausforderungen der Spielplangestaltung und die Rolle der Gegenwartsdramatik in den Spielplänen unterhalten.
BASTIAN LOMSCHÉ (BL): Ich bin Bastian Lomsché. Ich bin Teil der Schauspieldirektion am Theater Magdeburg. Wir sind seit dieser Spielzeit hier, als Dreier-Leitungsteam. Ich bin Dramaturg von Haus aus, war vorher lange am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg.
FELICITAS ZÜRCHER (FZ): Ich bin Felicitas Zürcher. Ich war an verschiedenen Häusern in Deutschland, am Deutschen Theater Berlin, am Staatsschauspiel Dresden und zuletzt am Düsseldorfer Schauspielhaus, und bin jetzt seit zwei Spielzeiten bei den Bühnen Bern als Chefdramaturgin für Schauspiel.
ESTHER HOLLAND-MERTEN (EHM): Ich bin Esther Holland-Merten. Ich war Dramaturgin an verschiedenen Theatern in Deutschland und habe dort Spielstätten für Gegenwartsdramatik geleitet. Die letzten Jahre habe ich im Performance- und Tanz-Bereich gearbeitet und übernehme ab Herbst das Theater am Werk mit seinen beiden Spielstätten Kabelwerk und Petersplatz in Wien.
THEATERUEBERSETZEN.DE: Was sind eure Strategien bei der Spielplangestaltung?
EHM: In Wien gibt es viele Häuser, die sich der zeitgenössischen Dramatik verschrieben haben. Daher geht es auch darum, ein Profil zu entwickeln, das nicht deckungsgleich ist, damit man hinsichtlich des Publikums nicht in eine Konkurrenzsituation kommt. Und auch, damit sich die Fördergeber:innen nicht fragen können: Wodurch grenzen sich diese Häuser eigentlich voneinander ab?
Wir machen keinen Jahresspielplan aus Eigenproduktionen. Wir sind auch ein Haus für die Freie Szene. Eigenproduktionen machen wir 3-4 pro Spielzeit. Da muss man dann sehr genau schauen, was man macht. Wir haben auch kein Ensemble, sondern arbeiten produktionsspezifisch mit Künstler:innen zusammen. Wir suchen außerdem gezielt nach Stoffen mit Bezug zu Österreich oder Wien. Um dem Eindruck entgegenzuwirken, man würde nur Stücke-Import aus Deutschland betreiben.
Und wir arbeiten mit den Wiener Wortstätten, die sich zeitgenössischer Dramatik widmen und die letzten Jahre viele internationale Autor:innen in ihren Drama Labs hatten. Wir wollen schauen, wie man gemeinsam Autor:innen fördern kann, auch in einem europäischen Kontext. So wollen wir zeitgenössische Dramatik zeigen, die an anderen Häusern nicht so präsent ist.
FZ: Wir sind in unserer ersten Spielzeit extrem mutig gestartet. Das war im Rückblick auch gut, was das Renommee angeht. In der zweiten Spielzeit sind wir ein bisschen in der Realität aufgeschlagen. Es wird auf jeden Fall auf weniger Gegenwartsdramatik hinauslaufen. In der ersten Spielzeit hatten wir eine deutschsprachige Erstaufführung und drei Uraufführungen. Das war sehr ambitioniert für das Publikum hier.
Ansonsten ist es uns wichtig, auch die Welt in den Blick zu nehmen. Schweiz, Deutschland, Österreich: viel größer ist der Kreis ja oft nicht in Bezug auf die Gegenwartsdramatik. Wir hatten z.B. „Grand Horizons“ von der amerikanischen Autorin Bess Wohl. Das schrammt ein bisschen am Boulevard und ist eine große Familiengeschichte. Es ist extrem „smooth“ und thematisiert trotzdem große Fragen. Wir haben außerdem eine lokale Star-Schauspielerin besetzt, und diese Punkte zusammen haben wohl dazu geführt, dass alle Leute jetzt in dieses Stück rennen.
Denn das ist ja die Frage: Wie kann man Gegenwartsdramatik so verkaufen, dass sie auch zieht? Man kann noch so tolle Stücke programmieren, wenn niemand kommt, macht das keine Freude.
Ich würde sagen, das hat sich seit Corona noch mehr verändert. Die Leute sind einem nicht mehr einfach allgemein zugetan. Ich habe den Eindruck, sie kommen sehr punktuell und interessengeleitet.
BL: Ich kann bei allem gewisse Parallelen zu Magdeburg erkennen. Und dann gibt es natürlich auch Dinge, die bei uns anders gelagert sind. Da ist einserseits die Ost-West-Thematik. Es wird oft suggeriert, man solle mehr ostdeutsche Autor:innen auf den Spielplan nehmen, mehr ostdeutsche Themen. Aber das Seltsame ist, dass oft die speziell ostdeutschen Themen gar nicht laufen. Vielleicht, weil die Leute dem überdrüssig sind. Oder weil es immer Problemerzählungen sind. Oder weil die Narrative fehlen, die sich nicht um Wendeverlierer drehen. Da gibt es ein Missverhältnis zwischen dem Wunsch und dem, was die Leute sich wirklich angucken.
Was ich bestätigen kann, ist, dass die Leute extrem an Themen interessiert sind. An einer ernsthaften Auseinandersetzung mit Bezug zu ihrem Alltag. Das merkt man stark.
THEATERUEBERSETZEN.DE: Was ist zuerst da – Regie oder Stück?
FZ: Ich würde sagen, zu 80 % haben wir zuerst die Regie. Aber ein paar Positionen gibt es schon, wo wir zuerst die Autor:innen haben.In der Schweiz gibt es tolle Förderinstrumente für Gegenwartsdramatik. Unter anderem das Stück Labor. Das beinhaltet Hausautor:innenschaften, bei denen eine schreibende Person ein Jahr lang fest an einem Haus angedockt ist und in dieser Zeit auch ein Stück schreibt. Da hatten wir vergangenes Jahr Kim de l‘Horizon. Das machen wir regelmäßig. Das finde ich toll.
Generell ist es so, dass wir sehr stark nach Themen suchen. Kim verhandelt Themen, die extrem brennend sind für eine jüngere Generation. Auch beim Stückauftrag an Martina Clavadetscher war das so. Da wollten wir ihren dezidiert feministischen Blick.
BL: Wir suchen auch zu 80 - 90 % erst die Regie. Außerdem haben wir Clara Weyde, die Teil der Schauspieldirektion und Haus-Regisseurin ist. Sie hat letztes Jahr die Eröffnung gemacht, macht sie jetzt in der kommenden Spielzeit wieder. Wir haben zwar kein Spielzeit-Motto, überlegen aber schon, mit welchem Themenkomplex wir uns auseinandersetzen wollen. Auch mit den anderen Regisseur:innen ist es in der Regel so, dass wir bei der Suche schon Themen im Kopf haben. Aber uns ist auch wichtig, mit was für Ideen die Regie kommt.
Stückaufträge haben wir bislang keine vergeben. Wir haben zwar relativ viele Uraufführungen, bei denen die Regie selbst schreibt oder entwickelt, aber keine Stückaufträge im herkömmlichen Sinne. Das hat strukturelle und finanzielle Gründe.
EHM: An den Theatern, an denen ich in Deutschland war, wussten wir tatsächlich zuerst die Stücke und haben dann die Regie gesucht. Spannend, dass viele auch den umgekehrten Weg gehen. Das waren damals allerdings auch Spielstätten dezidiert für zeitgenössische Dramatik.
Die Herausforderung ist immer, eine Regie zu finden, die ein tatsächliches Interesse an dem Text hat. Manchmal muss man nachfragen: Bist du dir wirklich sicher, dass du diesen Text machen möchtest? Wenn man das Gefühl hat, die Regie nimmt in Gedanken schon Eingriffe vor, die mit dem Ursprungstext nichts mehr zu tun haben, muss man schnell die Kurve kriegen und sich für später verabreden. Weil der Text ist der Text. Und es ist total legitim zu sagen, dass da keine Fantasie losgeht. Aber ja, das waren immer langwierige Suchprozesse. Und natürlich gab es auch mal den Moment, wo man bei der Premiere dachte, okay, das hat nicht wirklich funktioniert. Aber ich habe auch wahnsinnig viele Beispiele, wo es extrem gut gelungen ist.
Jetzt am Theater am Werk ist es eher fifty-fifty. Ich gehe in die Gespräche immer mit zwei Angeboten. Ich sage nicht nur, wir würden gern mit dir arbeiten, schauen wir mal, was im Gespräch entsteht, sondern ich habe immer schon zwei Stoffe dabei, die ich vorschlage und von denen es im besten Falle dann einer wird. Oft ein Roman und ein dramatischer Text. Um abschätzen zu können, was da freigesetzt wird bei den Regisseur:innen.
FZ: Das ist tatsächlich eine Schwierigkeit bei Aufträgen, dass man eine Regie suchen muss, bevor es das Stück gibt. Und manchmal geht das am Ende dann einfach nicht zusammen.
Man muss Leute finden, die sich als regieführende Person trotz aller Ambition auch zurücknehmen können. Weil man sich eben bei einer Uraufführung auch in den Dienst des Texts stellen muss. Und dann sind an kleineren Theatern die Mittel oft beschränkt. Man engagiert dann junge Leute, aber die sind naturgemäß an einem Punkt, wo sie sich mit ihrer Handschrift positionieren wollen – und auch müssen. Und das clasht oft. Es ist eine Riesenherausforderung, so eine Arbeit zum Blühen zu bringen.
BL: Die jungen Leute sind oft nicht in der Lage zu sagen: Das interessiert mich nicht. Oder: Das möchte ich nicht machen, lasst uns nach was anderem suchen. Und sie haben vielleicht auch noch gar nicht die Erfahrung, direkt nach dem Lesen eines neuen Textes, zu dem es kein Material gibt, sagen zu können: Ja, das verstehe ich, da kann ich mitgehen.
THEATERUEBERSETZEN.DE: Was für einen Vorlauf plant ihr ein, zum Beispiel bei Auftragswerken?
FZ: Wir hatten jetzt in der Regel ungefähr ein Jahr dafür. Wann man den Text das erste Mal teilt, ist noch mal eine andere Frage. Ich finde es schön, wenn man unterwegs schon etwas sieht, die Zwischenschritte miteinander geht. Aber ich hatte auch meistens mit Autor:innen zu tun, die sich freuen über Austausch und Feedback.
EHM: Ja, bei den Aufträgen, die wir vergeben haben, gab es auch immer Deadlines für Zwischenschritte.
Ich war kürzlich beim Dramatiker:innen-Festival in Graz. Da gab es eine Veranstaltung, bei der auch Ferdinand Schmalz involviert war. Er hat erzählt, dass er sich in den Vertrag schreiben lässt, dass es im letzten Drittel ein Treffen mit Schauspieler:innen des Ensembles gibt. Um mit ihnen den Text durchzugehen, ihn zu hören und zu besprechen. Das finde ich spannend.
FZ: Ich habe diese Erfahrung zum Beispiel mit Thomas Freyer gemacht. Mit ihm haben wir auch ganz früh eine Lesung gemacht. Mit Leuten aus dem Ensemble, die Zeit hatten.
Und jetzt haben wir mit dem aktuellen Hausautor Dmitrij Gawrisch ein Format in einer Bibliothek. „Mehr Drama“ heißt das. Da haben wir verschiedene Stücke gelesen. Öffentlich, mit „echten Menschen“, nicht mit Profis. 6x hat das stattgefunden. Am Ende haben wir auch das Stück gelesen, das er für die Bühnen Bern schreibt. In der Fassung, die es da eben schon gab.
BL: Vor allem wenn junge Regisseur:innen während des Prozesses selbst auch noch schreiben und entwickeln, kann das schon mal zu einer gewissen Überforderung führen. Gleichzeitig entsteht alles aber so im Austausch mit dem Ensemble, dass es nicht ausgelagert werden kann. Da wäre eine Form von Begleitung wünschenswert. Noch eine andere als die der Dramaturgie.
Wir haben außerdem die Abteilung Künstlerische Vermittlung neu aufgebaut. Die machen relativ viele Projekte mit Stadtbezug oder mit Communities aus der Stadt. Da werden auch immer wieder Autor:innen hinzugezogen, mit denen zusammen ein Stück entsteht. Da rechnen wir auch mit Vorläufen von einem Jahr. Das sind aber eher Recherche-Projekte.
FZ: In Dresden haben wir bei der Bürgerbühne auch oft Autor:innen zu den Projekten dazugeholt, weil man eben merkte, dass die Texte sonst ein bestimmtes künstlerisches Niveau nicht erreichen. Die Überformung durch eine schreibende Person hat den Projekten extrem gut getan.
Und dann wäre da noch das Thema Überschreibung. Das ist in den letzten Jahren eine interessante Form geworden. Man nimmt einen Klassiker und überschreibt ihn oder lässt eine Art Zusatz schreiben. Wir haben das 2x gemacht. Aber auch das ist ein Spagat. Weil man damit auch Leute verprellt, eben das Abo-Publikum. Aber wenn es gelingt, verbindet es im besten Fall mehrere Publika.
EHM: Das haben wir damals in Chemnitz auch gemacht, mit dem Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff und Gerhild Steinbuch. Da entstand genau dieser Effekt. Und irgendwie ist es gelungen, niemand zu verprellen. Das war auch das erste Mal, dass wir eine lebende Autorin auf der großen Bühne hatten. Man hatte also mehrere Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
THEATERUEBERSETZEN.DE: Und was ist mit Roman-Adaptionen? Ist das auch Gegenwartsdramatik oder eine andere Kategorie?
FZ: Für mich klar eine andere Kategorie. Ich liebe das sehr. Ich weiß, dass das Gegenwarts-Dramatiker:innen nicht so gern hören, aber es bietet halt unglaublich viele Freiheiten im Prozess. Es ist wahnsinnig tolles Futter, um Theater zu machen.
EHM: Ich würde das auch nicht in einen Topf werfen wollen. Eben weil es der Regie andere Möglichkeiten gibt, alles durcheinanderzuwirbeln. Aber es gibt auch Regisseur:innen, die sagen, auf keinen Fall, Romane fasse ich nicht an. Nicht jede:r setzt sich so einem riesigen Konvolut gerne aus.
BL: Für mich ist es auch spannender zu sagen, ich habe ein Thema oder einen tollen Stoff, aber ich bin viel freier im Zugriff, als ich es bei einer Uraufführung wäre. Deshalb interessiert mich die künstlerische Arbeit an einem Roman mehr. Und deshalb machen wir das hier auch relativ viel. Aber der Arbeitsaufwand ist in aller Regel ein ganz anderer. Und oft ist nicht genug Zeit eingeplant.
THEATERUEBERSETZEN.DE: Und wie nähert ihr euch Übersetzungen an, besonders, wenn sie nicht auf Englisch vorliegen?
EHM: Ich habe da noch gar nicht die Fühler ausgestreckt. Was ich allerdings in Wien komisch finde, ist, dass es ja eigentlich eine ganz direkte Anbindung an den osteuropäischen Sprachraum gibt. Es leben viele osteuropäische Künstler:innen in Wien, es gibt große Communities. Aber als kulturelles Angebot kommt das kaum vor. Das steht für mich auf jeden Fall auf meiner langfristigen To-Do-Liste. Weil es sich in den Spielplänen einfach nicht widerspiegelt.
FZ: Generell hätte ich ein großes Interesse daran, den Fokus breiter zu machen. Hier in der Schweiz liegt das durch die Mehrsprachigkeit und die Nachbarländer Italien und Frankreich eigentlich extrem nah. Ich würde die Welt im Theater gern ein bisschen vergrößern.
BL: Wir haben in dem Bereich auch keine guten Kontakte und suchen auch relativ wenig in diese Richtung. Unter anderem, weil ich diese Spielzeit noch allein in der Dramaturgie bin. Hinzu kommt, dass wir die Stücke, die uns interessieren würden, z.B. aus dem amerikanischen Sprachraum zum Thema Rassismus, nicht besetzt kriegen. Weil wir die Spielenden nicht nach Magdeburg bekommen, die man dazu bräuchte. Daher muss man das dann oft von Vorneherein weglegen. Das ist natürlich kein Zustand, auf dem man sich ausruhen kann. Das soll sich ändern. Aber das ist einfach erstmal die harte Realität.
FZ: Das ist ein großes Problem, finde ich auch. Weil man – zu Recht – in der identitätspolitischen Diskussion extrem vorsichtig geworden ist. Wir hatten gerade ein Stück auf dem Tisch von einer syrischen Autorin, mit fünf Frauen, über 20 Jahre erzählt. Da findet man keine einfachen Ensemble-Lösungen.
BL: Wir haben oft auch ein Problem mit den Kosten. Bei Stücken, die bei einem Verlag liegen, wird immer eine Uraufführungspauschale erhoben. Und ich gönne den Autor:innen wirklich jegliches Geld. Aber das führt dazu, dass wir es nicht machen können. Man möchte diese Texte eigentlich zeigen, hat vielleicht auch die Bühnen dafür, kann sich es aber schlichtweg nicht leisten. Da hoffe ich, dass irgendwann mal ein Modell gefunden wird, das das abfedert, weil die kleineren und strukturell schlechter ausgestatteten Theater solche Projekte sonst nicht machen können.
FZ: Wir zahlen hier auch eine Schweizer Erstaufführungs-Pauschale. Und bei uns ist eigentlich fast jedes neue Stück eine Schweizer Erstaufführung, denn die anderen Häuser sind nur eine Stunde weg – da macht niemand das gleiche Gegenwartsstück. Auch die Tantiemen sind hochgegangen. Ich verstehe das total, aber es ist tatsächlich ein Problem bei den Subventionskürzungen, die jetzt anstehen. Wir haben eine Ansage bekommen, dass wir tantiemenfreie Stücke produzieren sollen.