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Einführung

Theater, barrierefrei für Leute ohne Sound

von Wille Felix Zante

Für hörbehinderte Menschen gibt es im Kern zwei verschiedene Arten, Theater zugänglich zu machen: Entweder über Text in Form von Über- oder Untertiteln, oder aber in Gebärdensprache. Letzteres eignet sich vor allem für Menschen, die Gebärdensprache besser verstehen als Lautsprache. Das trifft auf viele Gehörlose zu. Von einem Text-Zugang profitieren hingegen vor allem Schwerhörige, dieser Zugang ist aber nicht so einfach, wie man meinen sollte.

Die Herausforderung fängt eigentlich schon bei der Suche an. Oft ist es so, dass es nicht immer eine barrierefreie Vorführung gibt, also fängt es damit an, zu erkennen, welche Vorstellungen mit Untertiteln sind.  Wegen der Sitzplatzanordnung, dem Orchestergraben oder der niedrigen Bühne sind im Theater oft die Untertiteltafeln, über oder seitlich der Bühne angebracht. Profis wissen schon, was jetzt kommt: Im Theaterbusiness nennt man die Untertitel deswegen Übertitel. Was eigentlich ein absurdes Detail und logisch ist, muss aber nicht zwangsläufig auch für Gehörlose nachvollziehbar sein. So scannt das Auge nach Aufführungen mit Untertiteln, findet aber nichts. Auch das im Kino geläufige OmU (Original mit Untertiteln) findet sich nicht. Enttäuscht zieht man von dannen. Dabei wäre es so einfach - wenn man die Begriffe kennen und Theater das besser bewerben würden. Aber leider ist Accessibility oft nur schnödes Beiwerk und oft, hier liegt die Crux, nicht für Gehörlose oder Schwerhörige gedacht.

Das Ergebnis sind Untertitel, die zusammengefasst sind, den Dialog nicht richtig wiedergeben oder viele Informationen ganz weglassen. Wenn im Off ein Schuss fällt, ein Opfer schreit oder Täter:     innen fluchen, mag das alles inhaltlich nicht relevant zu sein, aber für die Handlung dennoch wichtig. Es wird aber in den üblichen Untertiteln nicht wiedergegeben, denn: sie richten sich an Hörende, welche die Sprache nicht sprechen, aber ansonsten über weitestgehend funktionstüchtiges Gehör verfügen. Die nun aber Untertitel auch nicht gewohnt sind und deswegen nicht so viel auf einmal lesen können. Standard sind zwei Zeilen mit jeweils um die 40-50 Zeichen, mal mehr mal weniger, eher weniger, um die Leute nicht zu belasten. Im Theater sind es noch mal weniger Zeichen, damit auch alle alles lesen können. Gewiefte taube Besucher:innen jedoch sind es gewohnt, auch schon mal zwei Sprachen gleichzeitig lesen und verstehen zu können in der Zeit, die Hörende brauchen, um sich von einer Sprache als Untertitel überfordert zu fühlen. 

Elegant wäre es, diese Accessibility-Lösung auch als solche zu begreifen und stärker zu bewerben. Wenn Aufführungen ohne bestimmte Accessibility-Features für mich nicht zugänglich sind, interessieren sie mich auch nicht. Filter im Programmheft einzubauen, sollte online problemlos möglich sein, müssen aber auch deutlich markiert und bekannt gemacht werden. Zu oft führt ein Klick auf „Accessibility“ auf der Webseite nur zu Ausführungen, wie man mit Rollstuhl in den Saal kommt und ob es grundsätzlich Übertitel gibt. Einfacher wären Buttons in der Suchmaske. Da kann man auch das Symbol für Gebärdensprache einfügen, denn auch das ist eine Option, die sich sehr gut umsetzen lässt, wenn man möchte.

Dolmetscher:innen übersetzen das Geschehen auf der Bühne und haben den Vorteil, dass sie auch mal darüber informieren können, wenn die Aufführung unterbrochen wird, etwa weil vor oder hinter der Bühne jemand in Ohnmacht gefallen ist. Ideal wären sowieso eigentlich mehr Stücke mit Gebärdensprache, also gleich gehörlose Schauspieler:innen ins Ensemble zu holen und Stücke von Anfang an zweisprachig zu gestalten. Das erfordert Aufwand und die Bereitschaft zur Veränderung, aber kann sich lohnen. Nächstbester Ansatz ist es, Dolmetscher:innen von Anfang an in die Produktion einzubinden und auch dafür zu bezahlen, dass sie bei frühen Proben dabei sein können. Dolmetscher:innen zwei Wochen vor der Premiere anzufragen, bringt übrigens schon mal gar nichts. In Berlin etwa braucht man für einfache Termine auf Behörden oder in Krankenhäusern schon mal vier bis sechs Wochen Vorlaufzeit. Also lieber viel zu früh anfragen, als wenn das Stück schon fertig ist. 

Aber auch Dolmetschen ist nicht gleich Dolmetschen. Oftmals werden die Dolmetscher:innen an den Rand der Bühne gestellt, manchmal sogar neben die Bühne. Das Auge der gehörlosen Zuschauer:innen muss also hin und her hetzen zwischen dem Gesagten und dem, was auf der Bühne passiert. Zu viel Information geht darüber flöten. Besser ist es, die Dolmetscher:innen auf die Bühne oder ins Zentrum zu rücken. Beim sogenannten Schattendolmetschen folgen sie sogar den Schauspieler:innen. Das ist die Königsdisziplin, aber auch am aufwändigsten. Doch es lohnt sich, und es lohnt sich, es entsprechend zu bewerben, auch in der Community. Dazu sollte man übrigens die Dolmetscher:innen am besten damit beauftragen, einen Werbetext zu verdolmetschen, und diesen dann über die Social-Media-Kanäle des Theaters teilen. Denn selber aus eigener Kraft Werbung für ihre Arbeit zu machen, verbietet die Berufs- und Ehrenordnung der Dolmetscher:innen.

Auch die Positionierung der Untertitel kann man übrigens anpassen, etwa indem man eine Leinwand in die Mitte der Bühne stellt. Gänzlich abraten würde ich von technischem Schnickschnack wie Untertitelbrillen: Teuer, unbequem, unausgereift. Besser für alle sichtbar oder gar nicht - denn so ist es für alle das gleiche Erlebnis. 

Wille Felix Zante arbeitet als Journalist und Autor zu den Themen Gebärdensprache, Gehörlosigkeit und Accessibility für Hörbehinderte. Bis Ende Juni 2023 war er Referent für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Gehörlosen-Bund e. V., der Interessenvertretung der Gehörlosen in Deutschland. Freiberuflich war er in verschiedenen Funktionen, u.a. als Berater und Juror für das Filmfestival Look & Roll in der Schweiz und das Theaterfestival Augenblick Mal! in Berlin tätig. kontakt@willefelixzante.de



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