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So ein Theater

Interview mit Gee Vero

Kannst du dich bitte kurz vorstellen und selbst beschreiben?

Meine Name ist Gee Vero und ich gehöre zum Spektrum Mensch. Ich habe im Erwachsenenalter eine Autismus-Diagnose bekommen, die mir geholfen hat, mich besser zu verstehen und mir bewusst zu werden, warum ich in meinem Leben so schnell und oft an Grenzen gekommen bin. Ich lebe seit 2001 nach langen Jahren in London, wieder in der Nähe von Leipzig, bin verheiratet und Mutter von drei Kindern. Mein Sohn Elijah hat frühkindlichen Autismus und ihm fehlen neben der Möglichkeit der Kommunikation noch viele andere Kompensationsstrategien, die ich nutze, um der Gesellschaft, das widerzuspiegeln, was sie sehen will. Ich werde deshalb nicht sofort als anders wahrgenommen, mein Sohn dagegen ausschließlich 

Auf welche Hindernisse triffst du in deinem Alltag? Welche Missverständnisse erfährst du?

Dadurch, dass ich alles bewusst machen muss, und nicht auf Autopilot schalten kann, ist mein Energieverbrauch sehr hoch und ich muss akzeptieren, dass ich regelmäßige Auszeiten benötige und weniger schaffe, als ich gern schaffen würde. Da ich freischaffend tätig bin, kann ich weitgehend unabhängig von anderen Menschen arbeiten. Das ermöglicht es mir, als Autorin, Referentin und Künstlerin tätig zu sein. Mein Alltag ist mittlerweile gut handhabbar, da ich ihn weitestgehend selbst gestalten kann. Ich weiß, dass mir Begegnungen mit anderen Menschen viel abverlangen und überlege deshalb gut, wie und wann und wann ich mich in die Gemeinschaft mit anderen begebe. Ein gutes Haushalten mit der eigenen Energie ermöglicht mir, mich mit anderen Menschen in den direkten Kontakt zu begeben. Ich genieße diese Zeiten, wohlwissend, dass sie begrenzt sind und dies immer sein werden. Das größte Hindernis in meinem Leben ist die fehlende Akzeptanz der Gesellschaft für das Anderssein des Individuums. Da ich als hochfunktional gesehen werde, wird mir mein Autismus und die dadurch entstehenden Schwierigkeiten ganz abgesprochen. Autismus ist eine unsichtbare bzw. nur am Verhalten erkennbare Behinderung. Autistisches Verhalten in der sozialen Interaktion und Kommunikation wird jedoch nicht als Autismus erkannt. Vielmehr meint das Gegenüber dieses Verhalten zu (er)kennen und unterstellt Unhöflichkeit, Unerzogenheit und Nicht-Wollen, um nur einiges zu nennen. Mir werden dadurch wenig Brücken gebaut.

Aufgrund zahlreicher Kompensationsstrategien schaffe ich es mittlerweile der Gesellschaft genau das widerzuspiegeln, was sie sehen will, um zumindest eine Zeitlang teilhaben zu können. Mit Inklusion hat das nichts zu tun, wir leben immer noch Integration, weswegen viele autistische Menschen, so auch mein Sohn, unter anderem auch von den meisten öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sind.

Nimmst du oft an öffentlichen Veranstaltungen wie Konzert, Kino oder Theater teil? 

Mittlerweile kann ich das sehr gut und genieße das auch. Ich habe ausreichend Strategien entwickelt, die mir eine Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen ermöglichen. Meinem Sohn Elijah ist dies nicht bzw. nur sehr begrenzt möglich. Als Familie konnten wir mit ihm nicht ins Kino gehen, die Ablehnung durch Personal und andere Kinobesucher war trotz versuchter Aufklärung zu stark. Er konnte Kinobesuche nur mit seiner Schule (Schule für geistige Entwicklung) erleben, bei denen das Kino dann für die Schule reserviert wurde. Auch das ist keine Inklusion, sondern Separation. 

Welche Bedingungen sind für dich wichtig? Wonach wählst du aus?

Für mich ist wichtig, dass ich mich im Vorfeld umfangreich und gut über die Veranstaltung und den Veranstaltungsort informieren kann. Dabei ist mir das Internet eine enorme Hilfe. Virtuelle Rundgänge und gute Beschreibungen der Veranstaltungen sind effektive Werkzeuge, die ich gern nutze, um mir mehr Sicherheit zu verschaffen. Abläufe kann ich so vor der Veranstaltung immer wieder mental durchgehen, so wie der Rennfahrer die Strecke schon lange vor dem Rennen immer wieder im Kopf abfährt. Ich versuche so, mein System auf diese große Veränderung, die eine Veranstaltung für mich ist, vorzubereiten, in der Hoffnung, dass mein Gehirn eine Art Wiedererkennungseffekt hat, wenn ich die Veranstaltung dann tatsächlich besuche. 

Wenn etwas als neu wahrgenommen wird, ist es potentiell gefährlich und es kann dann nur eine Flucht-, Kampf- oder Starre- Reaktion ausgelöst werden. Genau deshalb ist es auch wichtig, dass die Abläufe und Strukturen eingehalten werden und es nicht zu kurzfristig angekündigten Änderungen kommt. Eine umfangreich informierende Webseite oder auch eine Hotline mit geschulten, entspannten und geduldigen Mitarbeitern ist ebenso notwendig wie eine autismusfreundliche Umgebung vor Ort, wie zum Beispiel Rückzugsräume oder entsprechende Abstände zwischen den Sitzen, barrierefreier Zugang zur Veranstaltung für autistische Menschen (z.B. geschützter Eingang ohne Drängeln und auditive und visuelle Überlastungen). Bei der Barrierefreiheit werden autistische Menschen immer noch vergessen. Es ist auch nicht einfach, da es den autistischen Menschen gar nicht gibt, sondern jede:r Autist:in einzigartig ist. (Das gilt übrigens für alle Menschen, aber wird von der Gesellschaft leider nicht mehr wahrgenommen). Alle Veränderungen, die es im Theater für autistische Menschen geben muss, werden auch nicht-autistischen Menschen gut tun. Autist:innen sind oft nur die Ersten, die spüren, dass etwas nicht gut ist oder gut tut. Wir sind wie die Kanarienvögel der Bergleute. Autistische Menschen sollten als Chance gesehen werden, Theater und andere Kulturveranstaltungen für alle Menschen besser zugängig und erlebbar zu machen. Behinderungen wird es solange geben, solange wir als Gesellschaft Barrieren aufrechterhalten. Nicht nicht unser Autismus behindert meinen Sohn und mich, sondern eine Gesellschaft, die nicht bereit ist, Brücken zu bauen und neue Wege zu gehen. 

Gibt es eine Theater-Veranstaltung, die dir besonders gut gefallen hat? 

Da geht es mir sicher wie jedem anderen Menschen, es gibt gute und schlechte Veranstaltungen. Das ersten Mal, dass ich mich in einem Theater wohl gefühlt habe und die Vorstellung genießen konnte, war 1993 im Victoria Palace Theatre in London bei einer Aufführung des Musicals „The Buddy Holly Show“. Die Akzeptanz für Anderssein war schon damals in London viel mehr vorhanden, als ich es je zuvor und auch später, als ich wieder in Deutschland lebte, erleben konnte. Allein das Gefühl, wegen meines Stimmings nicht angestarrt oder komisch angeschaut zu werden, führte zu einem besseren Sicherheitsgefühl und zu Entspannung. Es war in London, wo ich mich immer mehr traute, öffentliche Veranstaltungen zu besuchen. Ich empfand dies als eine ungeheure Bereicherung für mein Leben. 

Und eine, die dir nicht gefallen hat?

Das war ein Kinobesuch mit meinem Sohn, bei dem Elijah versucht hat, sich in der für ihn komplett neuen (und damit potenziell gefährlichen) Situation so zu regulieren, dass er sie bewältigen kann. Sein auditives Stimmung und sein umherlaufen, wurden innerhalb von Minuten zu einem Problem für die anderen, sehr wenigen, (da kleines Kino ausgesucht) Besucher. Auch eine Erklärung unsererseits zu seinem Autismus und die Bitte, ihm die Teilhabe an der Vorstellung trotz seines Andersseins zu ermöglichen, führten weder zu Verständnis, geschweige denn zu Akzeptanz. Trotzdem alle Anwesenden von Elijahs Behinderung Autismus wussten, haben sie sein Entfernen aus dem Kinosaal gefordert und auch durchgesetzt. Das hat uns deutlich gezeigt, dass wir in einer Gesellschaft leben, die weiterhin gnadenlos Anpassung (Integration) verlangt, aber lauthauls Inklusion schreit. Das muss sich endlich ändern!

Was würde dir den Besuch von Theatervorstellungen erleichtern? Was würdest du dir von den Veranstaltern wünschen?

Mir würde erleichtern:

  • gute und umfassende Informationen zur Veranstaltung und dem Veranstaltungsort im Vorfeld z.B. leicht zugängliche und gut nutzbare Internetseiten mit virtuelle Rundgängen und allen Informationen, die für einen Besuch des Theaters  besonders hinsichtlich Barrierefreiheit, und hier auch für Autisten ( die werden dabei nämlich immer noch vergessen!) 
  • die Möglichkeit über die Webseite oder Email Fragen stellen zu können bzw. die eigene Situation und Bedürfnisse zu schildern, hier auf empathische und geschulte Mitarbeiter zu treffen, die bereit sind zuzuhören, um zu verstehen (und nicht wie so oft nur zu erwidern und zu verneinen oder abzulehnen)
  • online Ticketkauf, eventuell mit einem Vermerk/Kennzeichnung (Farbe/Buchstabe/Zahl) auf dem Ticket, der dem Personal vor Ort signalisiert, dass es sich um einen besonderen Gast handelt und vielleicht kann das Personal auch gleich anhand dessen, wie das Ticket markiert ist, erkennen, was dieser Besucher benötigt, um an der Veranstaltung teilnehmen zu können

z.B. ruhiger Rückzugsraum bis Veranstaltungsbeginn, Randsitz, freier Platz neben Sitzplatz, kein Warten in Schlange etc.

  • eventuell inklusive Veranstaltungen anbieten für Menschen wie meinen Sohn, die lauter sind als andere, herumlaufen und sich nicht so an die Veranstaltung anpassen können, wie es erwartet wird. Diese Veranstaltungen sollten regelmäßig stattfinden und offen für alle sein, aber mit dem Hinweis darauf, dass dies eine barrierefreie Veranstaltung besonders für Menschen, deren Behinderung sich in einem anderen Sozialverhalten und Kommunikation äußert. 
  • Schulung von Mitarbeitern von Veranstaltungsorten zu Autismus als „unsichtbare“ Behinderung im Umgang mit Menschen, die etwas oder ganz anders sind – dies wird allen Besuchern zu Gute kommen, da wir alle einen großen Bedarf haben, wieder menschlicher und empathischer miteinander umzugehen
  • Hinweise darauf (online und auch im Theater), dass Mitarbeiter geschult sind, vielleicht „autismusfreundliche Umgebung“
  • Rückzugsräume oder Nischen, die sowohl vor, während als auch nach der Veranstaltung genutzt werden können. Vor und nach Veranstaltungen entsteht häufig eine auditive (Gespräche) und taktile (zu viel Nähe, Gedränge) Überlastung, dann ist es gut, wenn autistische Menschen ausweichen und abwarten können, bis die Vorstellung beginnt oder am Ende bis alle Besucher das Gebäude verlassen haben. 
  • Gut erkennbare Kennzeichnung der Wege zu Toiletten, Rückzugsräumen...nicht nur an den Wänden, sondern auch auf dem Boden. Viele Autist:innen schauen eher nach unten als nach oben oder nach vorn. 
  • Online auf Besonderheiten der Vorstellung hinweisen: Lautstärke, Licht, Spezialeffekte, Pausen, Bestuhlung etc. 
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(Die Fragen stellte Matthias Huber, 06/2023) Gee Vero ist Künstlerin, Autorin und Autismus Referentin. Mehr zu Gee Vero: www.bareface.jimdofree.com

 

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