Barrierefreie Webseiten
Hindernisse + Lösungen
von Lavinia Knop-Walling
Wie kommen blinde und sehbehinderte Menschen eigentlich ins Theater? Zunächst müssen sie wie alle anderen ein Theaterstück finden und Tickets reservieren. Leider erweisen sich diese Schritte oft als Herausforderung. Auf vielen Theater-Webseiten ist die gewünschte Vorstellung durch unübersichtliche Angebote, komplizierte Wege bis zum richtigen Link und mangelnde Kommunikation nicht auffindbar. Im Rahmen des Projekts „Berliner Spielplan Audiodeskription“ von Förderband e.V. teste ich immer wieder die Webseiten von Theatern, Ticket-Plattformen und Kultur-Webseiten auf ihre Bedienbarkeit für Menschen mit Seheinschränkung. Das Projekt hat es sich zum Ziel gesetzt, ein regelmäßiges barrierefreies Angebot für Blinde und Sehbehinderte an Berliner Theatern zu schaffen. Eine wichtige Grundlage dafür ist eine barrierefreie Webseite.
Blinde können Computer
Viele blinde und sehbehinderte Menschen bedienen den Computer mithilfe eines sogenannten Screenreaders. Ein Screenreader ist ein Hilfsprogramm für blinde und sehbehinderte Menschen, das die Inhalte einer Webseite oder sonstiger digitaler Elemente als Sprache und in Punktschrift wiedergibt. Auf Webseiten kann man beispielsweise mithilfe von Tasten bestimmte Elemente anspringen – „H“ für die nächste Überschrift, „B“ für den nächsten Button oder Schalter, „G“ für die nächste Grafik und so weiter. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass diese Elemente auch als solche markiert wurden und ein Schalter beispielsweise nicht als Link oder Grafik angezeigt wird. Ansonsten können sich die Nutzer:innen auch mit den Pfeiltasten Zeile für Zeile durch eine Webseite schlängeln. Das ist häufig die einzige Möglichkeit, um sich eine Webseite als blinde Person anzueignen. Wenn dann aber so kryptische Dinge wie „Image Map Link Spielplan Image Map Link Spielplan Image“ zu lesen sind, kann es schon mal eine Stunde dauern, bis man das findet, wonach man ursprünglich gesucht hat.
Hindernisse auf Theater-Webseiten
Die meisten Hindernisse auf einer Webseite entstehen durch Unübersichtlichkeit und falsch programmierte Elemente. Leider steht die visuelle Attraktivität einer Webseite allzu oft vor der Bedienbarkeit. Es gibt Überschriften, die wie Überschriften aussehen mögen, in Wahrheit aber reiner Text sind. Es gibt Schalter, die als Grafiken gestaltet sind und keinen Alternativtext haben, so dass ich nur „Grafik“ lese. Es gibt Links, die nicht benannt wurden, so dass ich nicht weiß, wohin sie führen. Oft sind es Kleinigkeiten, die dafür sorgen, dass ich mich auf einer Seite nicht zurechtfinde. Je aufwendiger die Seiten visuell gestaltet sind, desto schlechter sind sie in der Regel für mich bedienbar. Wenn Elemente wie Bilder, Links, Schalter und Überschriften zum einen nicht als solche markiert und zum anderen nicht eindeutig benannt werden, kann ich nicht wissen, worum es auf der Seite eigentlich geht. Für Unübersichtlichkeit sorgt außerdem die Anordnung der Elemente auf der Seite. Mehrmals habe ich auf Theater-Webseiten wichtige Inhalte über und unter der Überschrift zum Stück gefunden. Normalerweise erwarte ich, dass wichtige Infos zum Stück unter einer Überschrift zusammengefasst werden – Inhalt, Uhrzeit, Ort, Preise, Ticketreservierung usw. Wenn ich mit „H“ zur nächsten Überschrift springe und dann eher zufällig Text zu dem Stück an anderer Stelle finde, bin ich verwirrt. Im schlimmsten Fall frage ich mich, ob die Info überhaupt zu dieser Veranstaltung oder zur vorherigen gehört. Hinzu kommen Navigationsmenüs, die derart verschachtelt sind, dass ich nach ein paar Mal Seitenwechsel nicht mehr weiß, wo ich bin und wo ich herkam. Generell sind viele Webseiten derart mit Inhalten vollgestopft, dass ich relevante Inhalte lieber über Suchmaschinen suche, als auf der entsprechenden Webseite danach zu fahnden.
Hindernisse auf Ticket-Portalen
In Zeiten der Online-Ticketbestellung kommt keine Theaterseite ohne ein Ticket-Portal aus. Plattformen wie „Dringeblieben“ und „Reservix“ werden u.a. von Theatern benutzt. Für die Screenreader-Nutzer:innen bedeutet die Navigation durch Ticket-Portale eine weitere Zeitinvestition über die Theater-Webseite hinaus. Auch hier werden sie mit unübersichtlich gestalteten Inhalten konfrontiert:
- Mehrere Überschriften, die vor der gewünschten Veranstaltung stehen,
- Ausklapplisten, die ich mit dem Screenreader nicht aktivieren und somit auch keine Ticket-Anzahl wählen kann,
- Formulare ohne beschriftete Eingabefelder, so dass ich nicht weiß, was ich gerade ausfülle,
- interaktive Grafiken zur Sitzplatzauswahl, die mir nicht einmal angezeigt werden,
- und letztlich die Unmöglichkeit, eine ermäßigte Karte für mich und für meine Begleitperson zu reservieren.
An all diesen Stellen kann ich nach einem Zeitaufwand von einer Stunde scheitern. Ticket-Hotlines, die ich nach langem Suchen doch noch auf der Seite finde, lassen mich entweder eine weitere halbe bis dreiviertel Stunde warten oder legen wegen mangelnder Kapazitäten gleich auf. So endet der Ticketkauf in Frustration statt kultureller Teilhabe.
Die Webseite umgestalten
Eine Webseite barrierefrei zu gestalten bedeutet zu entrümpeln. Zuerst sollten sich die Webseiten auf die wichtigsten Inhalte beschränken, klare Titel für Überschriften, Menüpunkte, Grafiken, Links, Schalter usw. festlegen und verschachtelte Navigationsmenüs vermeiden. Das dient nicht nur der Navigation des blinden und sehbehinderten Publikums. Es verbessert die Bedienbarkeit der Seite im Allgemeinen. Je logischer und schlichter eine Seite aufgebaut ist, umso schneller finde ich, was ich suche. So gehört der Text zu einer Überschrift unter diese Überschrift, egal wie gut er darüber oder daneben aussehen mag. Elemente wie Links, Überschriften, Grafiken, Schalter, Formulare und Ausklapplisten müssen als solche markiert sein und nicht nur visuell ansprechend aussehen, weil ich sie ansonsten nicht finde. Eine Brotkrumennavigation, die angibt, wo man zuletzt war und wo man gerade ist, hilft bei der Orientierung. Wenn ein Theater bereits barrierefreie Angebote wie Audiodeskription, Gebärdenverdolmetschung und rollstuhlgerechte Zugänge anbietet, kann das auf einer Extraseite angekündigt werden. Diese Seite sollte leicht auffindbar und nicht irgendwo im Footer versteckt sein. Ich habe schon auf Theater-Webseiten erfolglos nach dem Wort „Audiodeskription“ gesucht. Letztlich musste ich die gewünschte Seite über Google suchen, bis ich sie endlich gefunden habe.
Barrierefreie Angebote auf einer Seite
Weil es lange dauert, bis eine bislang nicht barrierefreie Webseite umgestaltet ist, haben sich der Berliner Spielplan Audiodeskription und seine kooperierenden Theater dafür entschieden, eine Seite mit barrierefreien Inhalten auf jeder der Theaterseiten zu erstellen. Zudem sammeln wir alle Berliner Theaterangebote mit Audiodeskription im Spielplan unter www.theaterhoeren-berlin.de/spielplan.
Die wichtigste Aufgabe einer solchen Seite besteht darin, auf kommende Vorstellungen mit Audiodeskription hinzuweisen. Weil Formulare zur Reservierung oft nicht barrierefrei gestaltet sind, wird eine E-Mail und Telefonnummer bereitgestellt, über die die Nutzer:innen Tickets bestellen können, ohne an Formularen, Sitzplatzwahl und der Buchung ermäßigter Tickets zu scheitern. Hier haben sie auch die Möglichkeit, den Ticketpreis direkt zu überweisen. Obwohl einige blinde Menschen Bezahlvorgänge wie PayPal und Kreditkarten nutzen, gibt es Späterblindete, für die Überweisungen am einfachsten sind. Statt fünfmal die Seite zu wechseln, findet sich alles auf einer Seite und es braucht vielleicht nur fünfzehn Minuten, um ein Ticket zu bestellen.
Barrierefreiheit = zwischenmenschliche Kommunikation
Barrierefreiheit bedeutet schnelle, einfache und besonders zwischenmenschliche Kommunikation. Es gibt blinde und sehbehinderte Menschen mit unterschiedlichen Kenntnissen und Voraussetzungen. Einige sind bereit, Zeit zu investieren, um ein Theaterstück zu finden. Anderen fällt das deutlich schwerer. Das kann an mangelnder Technikaffinität liegen oder auch an Zeitmangel. Ich selbst habe einmal nach mehreren Tagen Internetsuche, Hotline-Telefoniererei und mehreren E-Mails ein Konzert nicht besuchen können, zu dem ich gerne gegangen wäre. Natürlich hätte ich einen Sehenden in meiner Umgebung fragen können. Was aber, wenn es eine Überraschung sein soll, man gerade keinen zur Hand hat oder einfach selbstständig ein Ticket buchen möchte? Barrierefreiheit bedeutet, selbstbestimmt leben zu können. Ein barrierefreies Theaterangebot ohne barrierefreie Webseiten macht den beträchtlichen Aufwand einer Audiodeskription oder Gebärdenverdolmetschung leider überflüssig.
Lavinia Knop-Walling
Die Arbeitsschwerpunkte von Lavinia Knop-Walling liegen in den Bereichen Audiodeskription, Inklusion, Sensibilisierung, Erfahrung von Blindheit und inklusives Geschichtenerzählen. Zurzeit arbeitet sie freiberuflich für inklusive Kulturprojekte wie dem „Berliner Spielplan Audiodeskription“ von Förderband e.V. und „Find your voice“ von Kulturregen Berlin gUG.