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Genrespezifik

Audiodeskription für Musiktheater

von Sylvie Ebert

Die Aufgabe der AD im Musiktheater ist naürlich ebenso wie bei anderen Bühnenwerken die Übersetzung visueller Informationen in das gesprochene Wort, um blinden und sehbehinderten Menschen zu ermöglichen, Handlung und Inszenierung zu folgen.

Aus speziellen EIgenschaften des Genres ergeben sich teils abweichende Methoden bzw andere Herausforderungen:

Zusammenwirken AD-Musik

Musiktheaterinszenierungen haben in der Regel ein durch die Komposition vorgegebenes relativ festes Timing. Länge und Position der Lücken für den AD-Text sind daher (im konventionelleren Repertoire) in jeder Aufführungen in etwa gleich und im Klavierauszug gut zu finden und notierbar.

Ähnlich wie bei Film oder Theater gilt es, gesprochenes oder gesungenes Wort nicht zu übersprechen. Doch auch in instrumentalen Passagen ist Zurückhaltung geboten, denn  das Musikerlebnis ist das Grundinteresse beim Besuch einer Musiktheateraufführung. Im Team mit blinden oder sehbehinderten Autor:innen lässt sich gut herausfinden, welche Informationen/Nebenhandlungen zugunsten der Musik verzichtbar sind. 

Die AD-Passagen sollten gut mit der Musik verschmelzen, d.h. Sprecheinsätze und Sprachduktus müssen sensibel und mit Kenntnis der Musik gewählt werden, markante musikalische Entwicklungen, Motivwechsel, Akzente, Pausen vor einer Koloratur o.ä. sollten frei stehen.

Lautstärke

Musikalische Bühnenwerke haben oft starke dynamische Wechsel. Bei lauteren Passagen muss die AD-Lautstärke entsprechend mitreguliert werden. Mitunter muss die AD an besonders lauten Stellen pausieren und die Informationen vor- oder nachliefern. Grundsätzlich gilt: an lauten Stellen Text reduzieren, da es da auf jeden Fall anstrengender ist, die Informationen aufzunehmen.

Akustisch verstärkte Werke können mitunter insgesamt so laut sein, dass eine AD gar nicht möglich ist (z.B. Rockopern o.ä.). Das gilt es bei einer Live-Sichtung mit Gerätetest herauszufinden. Ggf muss dann nach anderen Formaten gesucht werden, um den Zugang zur Inszenierung auch ohne AD weitestgehend zu erleichtern (z.B. ausführlichere Bühnen- und Kostümführung sowie detaillierte Vorbeschreibung des inhaltlichen Ablaufs, Inhaltsstichpunkte in Punktschrift, weiteres Briefing in der Pause o.ä.).

Übertitel-Einbettung bei fremdsprachigen Aufführungen

Ein spezielles Thema bei Opern- oder Musicalaufführungen ist die Integration von Übertiteln in die AD. Das betrifft Opern, die in ihrer originalen Fremdsprache aufgeführt werden, aber auch deutsch gesungene Werken werden häufig deutsch übertitelt, weil Gesangsstimmen nicht immer gut zu verstehen sind.

Das Spotten und ggf. Bearbeiten der Übertitel bedeuten einen nicht unerheblicher Zeitaufwand, der in Kalkulation und Planung bedacht werden sollte.

Die Integration der Übertitel kann auf verschiedene Weise erfolgen:

  1. Die Übertitel werden wörtlich zitiert und wie ein Voiceover über den dazugehörigen Gesang gesprochen. Oft wird hierbei eine zweite Person zur Live-Einsprache hinzugezogen, der/die die Übertitel einspricht, oder die Übertitel werden zwischen AD-Sprecher*in und zweiter Person aufgeteilt, z.B. nach Frauen-/Männerstimmen o.ä.
  2. Die Übertitel werden inhaltlich zusammengefasst in indirekter Rede wiedergegeben und weitestgehend in Gesangspausen platziert. Vorteil ist hier, dass mehr Gesang frei stehen bleiben kann und keine zweite Person für die Einsprache benötigt wird. Die Verknappungen gehen jedoch eventuell zulasten von Wortwitz, Poesie oder inhaltlichen Details. Auch hier kann gut im Team herausgefunden werden, welche Methode sich für das jeweilige Werk besser eignet bzw. wo die Prioritäten liegen.

Rezitative

In fremdsprachigen Opern mit hohem Rezitativ-Anteil lässt sich ein Übersprechen der schnellen Sprechgesänge meist nicht vermeiden, da sie oft sehr viel inhaltliche Informationen enthalten und Handlungsstränge voranbringen. Die Übersetzung erfolgt hier immer in Voice-over-Art (ob in direkter oder indirekter Formulierung).

Komplexität und Fokussierung

Musiktheaterinszenierungen sind oft sehr komplexe Werke, bei denen die AD die Fülle an Informationen gut sortiert und fokussiert unterbringen muss. 

Durch die Beteiligung von großen Gruppen wie Chor und Ballett gibt es oft sehr viele Mitwirkende - und entsprechend viele Kostüme bzw mitunter zahlreiche Parallelhandlungen auf der Bühne.

Die Handlung einer Oper ist oft komplex und etwas sperrig, weil aus anderen historischen Kontexten stammend. Manchmal haben die handelnden Personen ungewöhnliche, nicht leicht zu merkende Namen. Hier kann eine gute Abstimmung mit der dramaturgischen Einführung hilfreich sein sowie die Abwägung, im AD-Text statt mit Namen lieber mit den Funktionen zu arbeiten  (der Pastor, der Vater, der König, der Doktor ...).

Das Bühnensetting von Operninszenierungen entspricht häufig nicht der ursprünglich angelegten Verortung und eröffnet teilweise Parallelebenen, die zusätzlich zu teils widersprechenden Gesangsinhalten vermittelt werden müssen (wenn z.B. in "Figaros Hochzeit" von Schloss und Garten gesungen wird, die Inszenierung die Handlung aber auf einen Busbahnhof verlegt hat).

Der Einsatz von Ballett oder anderen Tanzpassagen erfordert Kompetenzen im Bereich Beschreibung von Tanz und Bewegung - hier ist eine Zusammenarbeit mit Choreograf*innen oder Tanzvermittler*innen vor Ort ergänzend sinnvoll.

Terzett und co

In Opern üblich sind Gesangsnummern mit drei, vier, fünf und mehr Beteiligten, die alle etwas anderes singen. Hier ist es zum einen nicht vermeidbar, die Textinformationen über Gesang zu platzieren. Zum anderen ist es wichtig, die Gesangsinhalte den Personen zuzuordnen, hier braucht es also ein "XY: Textzitat" oder ähnliche Lösungen. 

Technisches

Vor allem in der Oper sollte in gut schallgeschützte Einohr-Kopfhörer investiert werden, da andere Musikliebhaber*innen mitunter empfindlich auf Störgeräusche im Saal reagieren, die aus zu locker sitzenden Kopfhörern kommen.

Sylvie Ebelt studierte Theaterwissenschaft, Germanistik und Französisch und absolvierte eine Ausbildung zur Hörfunkredakteurin sowie Schulungen zu Audiodeskription und Untertitelung. Sie arbeitet als freiberufliche Dramaturgin, u.a. am Consol Theater in Gelsenkirchen, war 2010 Mitbegründerin des Hör.Oper-Projekts am Musiktheater im Revier und audiodeskribiert seitdem regelmäßig Opern- und Theaterinszenierungen sowie Filme.

 

Audiodeskription für junges Publikum

Sahne oder Rasierschaum? Werkstattgespräch über genrespezifische Anforderungen

Charlotte Miggel, Felix Koch, Jutta Polić und Roswitha Röding, alle Autor:innen des Berliner Spielplans Audiodeskription, trafen sich Ende Juni in Roswithas Wohnzimmer und sprachen über genrespezifische Anforderungen für Audiodeskriptionen im Kinder- und Jugendtheater. Auf dem Tisch stehen Saft und Wasser, Gläser und prominent in der Mitte: das Aufnahmegerät.

 

Felix: Wollen wir mit einer Zusammenfassung beginnen? Was beschäftigt uns bei der Erstellung einer AD für junges Publikum, was muss unsere Übersetzung können?

Jutta: Mir fallen zuerst einfache Sprache, Wortwahl und Satzbau ein. Also: kurze, schnell zugängliche Sätze, die andere Worte beinhalten können, als es bei einer AD für Erwachsene der Fall wäre.

Felix: Für Kinder kann man für andere Arten des Gehens zum Beispiel Verben wie „sausen“, „düsen“, „hopsen“ benutzen.

Charlotte: Genau, wenn Carmen aus Bizets Oper über die Bühne „düst“ ergibt das ein schräges Bild, bei Twinkle aus dem Kinderstück Funken passt es besser.

Roswitha: Bei Jugendtheaterstücken kann man auch mal umgangssprachliche Ausdrücke benutzen, was ja bei einer Erwachsenen-AD eher nicht erwünscht ist.

Jutta: Zum Beispiel bei der Personenbeschreibung, dass er oder sie „coole Chucks“ trägt. Oder ist es besser, Turnschuhe zu sagen?

Charlotte: Marken und Modebezeichnungen spielen bei Jugendlichen eine große Rolle. Die wissen sehr genau, was Buffalos oder Chucks sind.

Roswitha: Man könnte auch bei der ersten Erwähnung von Chucks sagen, dass es knöchelhohe Stoffturnschuhe sind.

Jutta: Das finde ich gut, so holen wir alle ab. Denn es geht uns in der AD darum, für die Zielgruppe verständlich und interessant zu schreiben.

Roswitha: Genau.Ich habe allerdings den Eindruck, dass viele blinde oder sehbehinderte Kinder die Bedeutung von Begriffen gar nicht kennen, weil sie nicht so viele Kontakte in die Welt der Sehenden haben. Ein Kind kann sich erst dann ein Bild machen, wenn es das Bild schon erlebt hat.

Jutta: Was bedeutet das für uns als Autor:innen?

Roswitha: Wir können die Erklärung unauffällig in die AD einbinden. Zum Beispiel für „Wald“. Es gibt Kinder, die noch nie in einem Wald waren. Dann könnten wir schreiben: „Im Wald, zwischen den vielen hohen Bäumen, ...“. Wichtig für jedes Alter ist, dass man sich in die Beschreibung hineinversetzen kann.

Charlotte: Ich würde aber auch sagen: Je jünger das Publikum, umso mehr sollten wir uns in der Übersetzung auch die Freiheit nehmen, zu interpretieren. Erwachsene, die schon auf einen großen Erfahrungsschatz zurückgreifen können, können sich selbst ein Bild machen bzw. sich dieses durch den AD-Text erschließen. Kinder sind offen und frei, und denken assoziativer, so dass wir vom AD-Grundsatz, nicht zu interpretieren, auch ein wenig abrücken sollten.

Felix: Habt ihr eigentlich schon einmal davon gehört, dass ein blindes oder sehbehindertes Kind an einer Redaktion für eine Audiodeskription beteiligt war?

Charlotte: Nein, aber das wäre wirklich interessant!

Roswitha: Das ist eine tolle Idee!

Felix: Wenn ich eine AD für Kinder- und Jugendtheater texte, ist mein Bedarf, über die AD zu sprechen und mich darüber auszutauschen und rückzuversichern nochmal größer, als bei einer AD für Erwachsene, weil ich noch weniger einschätzen kann, ob das, was ich übersetzen will, wirklich ankommt.

Charlotte: Jutta, du hast zuerst die Sprache genannt, ich würde jetzt das Abstraktionsvermögen nennen. Die AD versucht ja, die optischen Anlehnungen einzubeziehen, wenn zum Beispiel Glitzerplättchen Sterne darstellen sollen, oder Drehscheiben Planeten.

 
Auszug aus der AD-Einführung zu „Funken“, ein Theaterstück für Kinder ab 11, Theater an der Parkaue, 2022

Die Bühne
Die Wände und der Boden sind schwarz. Tausende runde Glitzerplättchen liegen verstreut auf der gesamten Bühne. Im Scheinwerfer-Licht funkeln und glitzern sie silbern, wie helle Sterne.
 

Charlotte: Einem sehenden Kind erschließt sich das viel schneller als einem blinden Kind, das dann vielleicht denkt, dass wirklich Sterne auf der Bühne sind. Bei dem Stück „Kai zieht in den Krieg…“ stellt eine Rassel eine Granate dar. Sie tickt auch. Mir fällt es manchmal nicht leicht, einzuschätzen, wie ich das formulieren kann, ohne dass der Eindruck entsteht, dass - in diesem Fall - eine echte Granate auf der Bühne sei.

Auszug aus der AD zum Stück „Kai zieht in den Krieg und kommt mit Opa zurück“ für Kinder ab 10, Grips Theater, 2020

Etwas Blau-pinkes rollt von der Seite in die Bühnenmitte und bleibt vor dem Luftsack liegen. Es ist eine Rassel. Kai tritt näher.

KAI   „Ist das eine Handgranate?“

Kai kniet sich hin. Er legt das Ohr an die Rassel-Granate und lauscht dem Ticken.

Jutta: Eine Tastführung bei Kinder- und Jugendtheater hat deshalb einen hohen Stellenwert.

Roswitha: Ja, auf jeden Fall! Die ist so wichtig!

Jutta: Beim Musiktheaterstück „Zum Beispiel Bienen“ war mit Klebeband eine Wabenform auf dem Boden aufgeklebt. Innerhalb der Wabe hatte jede Biene ihren eigenen Arbeitsplatz. In der Tastführung sind die seheingeschränkten Kinder Platz für Platz abgelaufen. Die Bienen-Darsteller:innen haben ihre Aufgaben benannt und die Kinder konnten sowohl ihre Arbeitsutensilien betasten, als auch die Instrumente und abstrakten Kostüme. Ohne die Tastführung wäre es den Kindern nicht möglich gewesen, die Synchronität der Arbeitsabläufe im Bienenstock nachzuvollziehen.

 

Auszug aus der AD zu „Zum Beispiel Bienen“ von der Musiktheatergruppe "DieOrdnungderDinge" im FELD Theater für junges Publikum, 2020

Ein Bienenarbeitstag beginnt.

Cathrin quert geschäftig die Bühne. Am Honigplatz überprüft sie sorgfältig den Zapfhahn am aufgehängten Honig-Eimer und seine Stellung am Boden. Nichts darf daneben gehen!

Sie wendet sich zum Pollen-Platz, ihrem Arbeitsplatz. Die Biene stellt den Polleneimer vom Hocker auf den Boden und stapelt die flauschigen Blütenpollen darauf.

Hinter ihr, dicht am Vorhang der Bühnenrückwand, liegt ihr Cello.

Meriel betritt die Bühne und schreitet zum Waben-Platz. Mit kleinen geschickten Fingerbewegungen kleidet die Biene mit einem Wachsklumpen eine Wabe aus. Sie passt das Wachs den Wänden an und drückt es fest.

Cathrin stapelt weiter Pollen.

Vera kommt auf die Bühne. Am Putz-Platz schüttet sie Wasser von einem Eimer in einen anderen. Dann schnappt sie sich den Besen und fegt Richtung Honig-Platz. .

Felix: Mir fällt noch das Stück „ver-rückt!“ ein. Es ist ein abstraktes Objekt- und Materialtheaterstück zum Thema „Chaos“ für Kinder ab vier. Die Performerin und der Performer spielen mit gesteiften Pappfolien und formen daraus verschiedene Dinge. Es gab eine schöne Tastführung: Jedes Kind bekam kleine Stücke von der Pappfolie und konnte eine haptische Vorstellung davon kriegen, wie sich das Material anfühlt und wie es sich verformen lässt. Bei der Vorstellung hingen auf der Bühne drei weiße Pappfolien an durchsichtigen Schnüren in der Luft. In der AD haben wir nicht immer nur eine Interpretation angeboten.

Auszug aus der AD zu „ver-rückt“, Schaubude Berlin, 2019

Das Seil der linken Hänge-Folie wird hochgezogen, die rechte Folie rutscht tiefer. Jetzt rutscht die linke Folie tiefer, die Rechte wird wieder hochgezogen. Vorne schaukelt die kleinen Folie weiter ganz leicht zu den Seiten. Die drei weißen Folien zittern in der Luft, so als ob ein zarter Wind über die Bühne weht. Vielleicht sind es liebe Gespenster, die ganz langsam durch die Nacht schweben. Oder die weißen Kleider von unsichtbaren Königen und Königinnen. Oder vielleicht warme Bettdecken, die auf jemanden warten, die in ihnen einschlafen kann? Ganz langsam sinken die beiden hinteren Folien nach unten.

 

Roswitha: Also, diese Vergleiche fand ich jetzt toll! Und da fällt mir noch eine andere wichtige Sache ein: Der beste Erfolg einer AD ist, wenn blinde Kinder an der gleichen Stelle lachen können wie sehende Kinder. Denn nichts ist schlimmer – egal ob Kind oder Erwachsene – wenn alle um dich herum lachen und du weißt nicht, warum.

Felix: In dem Stück „Das Spiel“ im Theater an der Parkaue stellt zu Beginn des Stückes eine der Spielerinnen einen Flipchart auf, kriegt das aber nicht hin, weil die Beine des Flipcharts immer wieder aus der Halterung rausrutschen. Das ist eine lustige Slapstick-Nummer. In der Tastführung haben Jutta und ich den Flipchart zu den Kindern gestellt. Sie standen nah um ihn herum und haben ihn festgehalten. Ich habe dann nacheinander die Beine gelockert und der Flipchart ist mal zur einen und dann zur anderen Seite geknickt. Die Kinder hatten eine plastische Vorstellung davon, was der Flipchart macht und konnten später in der Beschreibung nachvollziehen, was auf der Bühne passiert...

Jutta: ...und haben am lautesten von allen gelacht!

Roswitha: Weil sie es sich genau vorstellen konnten!

Charlotte: Würdest du dann sagen, dass wir zu Gunsten des Witz-Verständnisses im Zweifel auch mal was übersprechen sollen?

Roswitha: Ja! Das wichtige ist, dass der Witz rüberkommt.

Felix: Um nochmal auf die Schwierigkeit von Vergleichen zurückzukommen: Für „Das Spiel“ spreche ich die AD mit einem Mikro offen für alle seheingeschränkten und sehenden Kinder ein. Auf der Bühne gibt es eine Schiedsrichterin und die will mit einer Sprühdose den Elfmeterpunkt markieren, es kommt aber nichts aus der Sprühdose. Sie schüttelt und rüttelt und schüttelt nochmal und es kommt einfach nichts raus.

Auszug aus der AD zu „Das Spiel“, Theater an der Parkaue, 2022

("pssst“)

Nichts passiert. Sie schüttelt die Dose vor ihrem Gesicht und schaut hinein. 

(„pssst“)

Etwas sprüht in ihr Gesicht, schnell hält sie die Hand davor....

Die Schiedsrichterin leckt sich über die Lippen und kostet von ihrer Hand.

Sie steckt sich die Sprühdose in den Mund und füllt ihn...  mit Schlagsahne.

 

Felix: Später im Stück sprüht sie dann mit Markierungsschaum. In der AD sagen wir aber nicht, dass es nur am Anfang Schlagsahne ist. Du hast den Unterschied Schlagsahne/Markierungsschaum schon gesehen, wenn du genau hingeschaut hast. Aber einmal hat ein sehendes Kind nach der Vorstellung versucht, diesen Markierungsschaum zu essen...Wir hatten eine lange Diskussion darüber, wie wir das textlich lösen.

Jutta: Eine Möglichkeit wäre, zu sagen, dass die Dose ausgetauscht wurde, aber das ist ein wenig langweilig.

Felix: Außerdem nehme ich selbst nicht wahr, dass die Spielerinnen diesen Trick anwenden, also kann ich es nicht beschreiben.

Charlotte: Oder man löst es nach der Vorstellung auf, bevor alle gehen: Liebe Kinder, bitte schleckt nicht den Schaum vom Boden, das ist gar keine Schlagsahne.

Felix: Aber ganz ehrlich, als Kind würde ich den Schaum dann erst recht essen!

Jutta: ... und dich später nach so einer Erfahrung als Erwachsener nie rasieren!

Felix: Nur trocken!

Roswitha:Oder man sagt: sie schleckt den Markierungsschaum von ihren Lippen, als wäre es Schlagsahne.

Jutta: Aber es ist doch Schlagsahne!

Felix: Ja, eben, es ist Schlagsahne! Also, wie können wir in so einem Fall kindergerechte Vergleiche nutzen bzw. auch andere Ebenen mitdenken?

Charlotte: Oder die Mitarbeiter:innen müssen die Kinder nach dem Theaterstück warnen.

Jutta: Apropos warnen! Im Stück „Der kleine König Dezember“ gab es eine Szene mit einem Drachen. Als der aus dem Nichts auftauchte, hat er richtig laut gebrüllt. Und dann hat sich die Frage gestellt, ob wir die Kinder vorwarnen sollten.

Auszug aus der AD zu „Der kleine König Dezember“, Deutsches Theater Berlin, 2019

MANN „Drachen? Wieso sollte es hier Drachen geben? Wir haben keine mehr, und in dieser Gegend schon gar nicht.“

KÖNIG „Aber da ist doch einer.“

MANNWo?“ 

s Achtung – gleich wird’s laut!

KÖNIG „Da.“

MANNWo soll denn da ein Drache sein?“

s+ An der linken Saalseite taucht der blaugrün-glitzernde Schwanz eines Drachen auf. Drachenfeuerrauch liegt in der Luft. Der Mann geht hin… (lautes Geräusch) … und springt zurück.

 

Charlotte: Vorwarnen –ich würde sagen, ja.

Roswitha: Es ist schwieriger, wenn man nur aufs Hören angewiesen ist. Andere würden sagen, die Sehenden sehen den Drachen ja auch nicht und erschrecken. Das stimmt. Aber sie können schneller kombinieren: Sie hören das Geräusch, schauen hin, erkennen den Drachen und können die Situation schneller einschätzen.

Felix: Also du plädierst auch fürs Vorwarnen?

Roswitha: Beim Drachen: ja. Man muss allerdings bei jeder Situation, bei jedem Stück neu entscheiden. Wichtig ist nur, dass man immer blinde Menschen miteinbezieht.

Charlotte: Eine weitere Herausforderung beim Audiodeskribieren für Kinder kam bei „Funken“ auf. Die Schauspielerin Salome Kießling spielt im Stück eine Figur namens Twinkle. Salome ist Transgender-Frau, und die Figur, die sie spielt, ist nichtbinär. Wir konnten hier also nicht mit den Personalpronomen „er“ und „sie“ texten.

Jutta: Bei der Tastführung haben sich die Schauspieler:innen selbst vorgestellt. Die Kinder waren über Salomes tiefe Stimme in Kombination mit Salomes Namen verwundert.

Charlotte: Vielleicht müsste man vorher darauf hinweisen, vielleicht reicht die Irritation aber auch aus, um wieder etwas zu lernen.

Felix: Zum Beispiel, dass nicht alle Frauen eine helle Stimme haben. Wenn ich Salome aus der Sehenden-Perspektive treffe, würde ich auch nicht sofort denken, dass sie eine Trans-Frau  beziehungsweise keine cis-Frau ist.

Roswitha: Wenn es für alle gleich irritierend ist, kann man es so belassen. Es gibt ja immer die Möglichkeit zu fragen! Hauptsache, die Kinder bleiben beim Hören der AD nicht hängen und verpassen dadurch den Anschluss ans Stück.

Jutta: Bei „Funken“ haben wir Salome in der Einführung und in der AD immer ohne Pronomen beschrieben, binär oder nichtbinär spielt im Stück keine Rolle, sie spielt einfach ein Kind.

Auszug aus der AD-Einführung zu „Funken“ für Kinder ab 11, Theater an der Parkaue, 2022

TWINKLE ist 12 Jahre alt und weiß viel über das Wetter. Twinkle selbst hatte sich nie dazu entschieden „anders“ zu sein – das hatte irgendjemand anderes einmal für Twinkle entschieden. Die Schauspielerin Salome Kießling spielt die nachdenkliche Twinkle. Sie ist Mitte zwanzig, groß und hat langes dunkelblondes leicht gewelltes Haar. Als Twinkle trägt sie einen hellgrauen Pullover, der so lang ist wie ein Kleid, darunter weiße Leggins. Um den Hals hat Twinkle einen riesengroßen Rüschenkragen in verschiedenen Grau- und Rosatönen. Wie eine Wolke umringt sie Twinkles Hals und Twinkles Kopf schaut oben heraus.

Charlotte: Man kriegt sprachlich wenig Abwechslung rein, auch in der AD. Ich habe mich aber damals beim Texten gefragt, ob Kinder heutzutage nicht schon anders aufwachsen und bekannter ist, dass Geschlechterzuweisungen sich nicht auf ein „Sie“ oder „Er“ reduzieren lassen. Es also für Kinder selbstverständlicher ist, dass man nonbinäre Personen trifft.

Jutta: Ich glaube, selbstverständlich ist es nicht, aber ich denke, dass Kinder offen sind. Sie erschließen sich die Welt erst, und da gehört es dazu, die Dinge einzusortieren. Deshalb ist es wichtig, dass nonbinäre Personen sichtbar werden, nur so wird es selbstverständlich, dass es in unserer Welt mehr als „sie“ und „er“ gibt. Ich hätte allerdings nicht gewusst, wie ich darauf reagieren soll, wenn die Kinder in der Tastführung tiefere Nachfragen zu Salomes Geschlecht gestellt hätten. In solchen Fällen ist es immer gut, mit den Performenden direkt zu sprechen.

Roswitha: Das ist eine gute Idee.

Felix: Und ein guter Ausblick zum Schluss, oder?

Charlotte: Ja, ich denke, Übersetzungsprobleme in Audiodeskriptionen brauchen immer konkrete Lösungen – und umso mehr wir im Austausch mit den Beteiligten sind, umso so treffender werden unsere Beschreibungen. 

Jutta: Dem kann ich mich nur anschließen. Vielen Dank für das schöne Gespräch!

Felix: Wir sollten uns öfter bei dir im Wohnzimmer treffen, Roswitha.

Roswitha: Kommt gerne wieder vorbei!

 

 

 

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