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Anforderungen

Audiodeskription am Theater: Grundlagen und Voraussetzungen

von Maila Giesder-Pempelforth

Gehen wir davon aus, dass die Finanzierung steht und eine Audiodeskription (AD) an Ihrem Theater umgesetzt werden kann. Nun sollten Sie sich gleich zu Beginn einige wesentliche Grundfragen stellen:

  1. Wer kann dieses komplexe Projekt umsetzen?
  2. Welche zeitliche Dimension wird es einnehmen? Mit wieviel Vorlauf müssen wir planen?
  3. Welche konkreten Anforderungen stellt die AD an die unterschiedlichen Abteilungen unseres Hauses?
  4. Wie erreichen wir die Zielgruppe und akquirieren blinde und sehbeeinträchtigte Gäste?

Ohne die individuellen Abläufe und Kapazitäten Ihres Hauses zu kennen, kann ich eine wichtige Antwort vorab geben:

Sie können eine Audiodeskription nicht schnell und nebenher erstellen und diese möglichst innerhalb der nächsten Wochen anbieten!

Setzen Sie bitte darauf, die Qualitätsstandards eines hochwertigen Hörtheater-Erlebnisses zu gewährleisten und greifen Sie auf erfahrene AD- Autor:innen und AD- Sprecher:innen zurück.

Unabhängig davon, ob Sie ein Stadttheater, eine off-Bühne oder ein Performance-Ensemble sind, gibt es für die erste Frage: „Wer macht bei uns am besten die AD?“ zwei Optionen:

  1. Sie engagieren ein Team aus freiberuflichen AD-Autor:innen, das in Eigenverantwortung die Hörtheaterfassung erstellt, Sie bei der Umsetzung an Ihrem Haus berät und die AD zur geplanten Vorstellung durch eine:n professionelle Sprecher:in live einsprechen lässt.
  2. Sie stellen ein Team aus „hauseigenen“ Kolleg*innen und/oder „theaternahen“ Interessierten zusammen, die zu Prozessen einer Theater-AD geschult und während ihrer ersten Produktion begleitet und beraten werden. So könnten Sie mit diesem Team künftig autark das Angebot der Audiodeskription umsetzen und es und kontinuierlich erweitern.

Bei beiden Varianten ist es notwendig, eine:n Mitarbeiter:in Ihres Theaters festzulegen (z.B. aus der Dramaturgie, dem KBB oder dem Intendanz-Büro), die/der die „Projektleitung“ übernimmt. Diese:r gilt als Schnittstelle zwischen AD-Team und den Abteilungen, koordiniert sämtliche Termine, unterstützt bei der zielgruppenorientierten Lobbyarbeit und trägt alle erforderlichen Materialien zusammen.

Nun gilt es, das erforderliche Zeitfenster zu definieren, in dem eine AD umgesetzt werden kann. Maßgeblich ist dies von den Vorstellungen der Inszenierung abhängig. Jedes AD-Team benötigt eine Vorstellung, die es live ansehen kann. Das kann beispielsweise die Generalprobe oder Premiere der Inszenierung sein. Mit einem Abstand von mindestens 14 Tagen, in denen die Autor:innen schreiben und die Redaktion vorgenommen wird, muss es eine weitere reguläre Aufführung geben, wo die AD getestet werden kann. Nach einem weiteren Korrekturtag für das Team, kann die Hörtheater-Premiere zur nächsten Vorstellung stattfinden. An Häusern, in denen nicht „ensuite“, sondern Repertoire gespielt wird, können so mitunter zwei bis drei Monate vergehen. Haben Sie sich entschieden ein eigenes Team zu schulen und während der Erstellung des Audioskripts begleiten zu lassen, müssen Sie sicher mit der doppelten Zeit rechnen. Davon abgesehen, sind Anfragen an freiberufliche Autor:innen immer mit ausreichend Vorlauf zu stellen.

Planen Sie heute eine AD, die Sie in einem halben Jahr anbieten wollen! Mindestens!

Nehmen Sie sich die Zeit gemeinsam mit potentiellen Nutzer:innen der Audiodeskription die Mitarbeiter:innen ihres Hauses zu sensibilisieren und für das Projekt zu begeistern. Es ist essenziell, dass die verschiedenen Abteilungen die Zusammenarbeit mit dem AD-Team als selbstverständlichen Teil ihrer Arbeit angesehen und gewissenhalt erledigen. Bühnentechnik, Ton- und Videoabteilung, Kostümabteilung, KBB, Dramaturgie, ÖA und Besucher:innenservice sind wichtige „Zulieferer“ für:

  • kostenfreier Zugang zur „Anseh-Vorstellung“ und „Testlauf“ für das AD-Team
  • aktueller Mitschnitt der Inszenierung (Totale)
  • Regiebuch (Textbuch inkl. Regieanweisungen)
  • Übertitelliste und Projektionsvideos
  • Programmheft der Inszenierung
  • Infos zu Bühnenbild und Lichtkonzept:

Baupläne und Fotos, Bühnenbildmodell, Bühnenbeschreibung durch die Bühnenbildner:innen (Assistenz), Termin mit Bühnenmeister:in und Bühnenbegehung

  • Kostümbeschreibung, Requisiten- und Maskenliste

(optional: Termin für Kostüm- und Requisitensichtung,

Fotos von A und B Besetzungen)

  • Pressematerial
  • Tagesbesetzungsliste für die relevanten Vorstellungen
  • Applausordnung

Besondere Anforderungen stellt das Hörtheater natürlich an die Tonabteilung.

Es gilt z.B. einen Sprecher:innen-Platz mit freier Sicht auf die Bühne bereit zu stellen. Dies sollte ein abgeschirmter Bereich sein ohne akustische Störung, z.B: durch andere Mitarbeiter:innen oder Inspizient:innen-Durchsagen.

Ist das nicht realisierbar, muss die Live-Einsprache aus einem bühnenfernen Raum stattfinden, der eine Live-Übertragung in sehr guter Bildqualität und ohne Verzögerung gewährleistet.

Für die Sprecher:innen ist ein Mikrophon mit Möglichkeit zu muten vorteilhaft und

ein Kopfhörer, der sowohl Bühnenton als auch die eigene Stimme überträgt.

Auch der Besucher:innenservice und Abenddienst spielt eine große Rolle:

Sobald der Termin für die AD steht, ist ein Kartenkontingent zurückzuhalten und bis zuletzt zu verteidigen, damit blinde Gäste auch bei nahezu ausverkauften Vorstellungen die Möglichkeit haben, den ausgewählten AD-Termin wahrnehmen zu können. Es empfiehlt sich einer Begleitperson freien Eintritt zu gewähren und Führhunde im Zuschauer:innensaal zu erlauben.

Ein taktiles Leitsystem bestehend aus ins Haus führendem Aufmerksamkeitsstreifen, Handläufe in Treppenaufgängen, sowie Relieftafel zum Auffinden der WCs, Garderobe, Bar etc. ist sicher ein optionaler Service, der nach und nach hinzukommen kann; ebenso das Vermitteln von geschulten Begleitpersonen, die beispielsweise von der Bahnhaltestelle abholen und bei der Orientierung im Haus unterstützen.

Nun bleibt nur noch eine Frage offen: „Wie erreichen wir unsere Zielgruppe?“

In erster Linie sollte Kontakt zu Blindenverbänden und Selbsthilfegruppen hergestellt werden, damit diese ihre Mitglieder regelmäßig über das AD-Angebot informieren können. Andere Theater oder AD-Teams als Multiplikatoren anzufragen, um das eigene Angebot über deren Kanäle zu streuen, ist sicher eine weitere Möglichkeit potenzielles Publikum für die AD zu gewinnen.

Aber auch eine barrierearme Bereitstellung von Informationen auf der eigenen Webseite ist essenziell, z.B. Textinhalte und Termine zur jeweiligen Inszenierung mit AD zusätzlich einsprechen zu lassen.

All diese aufgeführten Punkte dienen als Inspiration, eine erste Vorstellung mit AD an Ihrem Theater umzusetzen. Alles kann – aber nichts muss! Gehen Sie die ersten Schritte!

Maila Giesder-Pempelforth absolvierte 2004 ihr Schauspielstudium am Max Reinhard Seminar Wien. Neben Gast-Engagements an diversen Theatern, arbeitet sie freiberuflich als Dozentin für Schauspiel, Sprecherziehung und Sprachgestaltung. Seit 2013 ist sie zusätzlich als Autorin und Sprecherin für Audiodeskription tätig. Seither erstellte Maila Giesder-Pempelforth zu knapp 40 Inszenierungen unterschiedlicher Theater und Genre Audioskripte, die sie in der Regel selbst und live zur Vorstellung einspricht. Zudem leitet sie die Projektkoordination am Schauspiel Leipzig, gibt sie regelmäßig Workshops zum Thema Live-Audiodeskription, schreibt und spricht ADs für Film, Fernsehen und Streamingdienste.

 

 

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