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Exkurs #1: Die Schweiz

Das Eldorado für Übersetzer:innen (oder: eine kleine Einführung ins Schweizer Sprachenwunderland)

von Dòra Kapusta

Wer schon einmal das Vergnügen hatte, sich in einen Schweizer Supermarkt zu verirren, konnte feststellen, dass jeder Artikel dreisprachig beschrieben wird. Angefangen bei den Ingredienzen über Rezeptvorschläge bis zu Waschanleitungen. Dies namentlich auf Deutsch, Französisch und Italienisch. Die Banknoten trumpfen sogar noch mit der vierten Landesprache Rätoromanisch auf. Und fahre ich mit meiner Schweizer Zigarettenpackung ins Ausland, bringe ich immer denselben Witz:  In der Schweiz bringen dich Zigaretten gleich in drei Sprachen um. Im Kino wird jeder Film deutsch und französisch untertitelt, eine Zeile Deutsch, darunter eine Zeile Französisch, sofern er nicht synchronisiert gezeigt wird. Aber im Vergleich zu anderen Ländern wird in der Schweiz immer noch die Großzahl der Filme im Original gezeigt. Selbstredend werden auch Gesetze, amtliche Papiere, Regierungsbeschlüsse, sprich alles, was Politik und die Gesetzgebung betrifft, in alle drei Landessprachen übersetzt. Erwähnt sei vielleicht noch, dass jeder Landesteil über einen eigenen staatlichen Fernseh- und Radiosender verfügt. Das bringt mit sich, dass ein Romand andere Nachrichtensprecher:innen, Sendungen und Werbungen sieht als ein Deutschschweizer. Selbstverständlich versteht sich jede:r  im Land als Schweizer:in, ob er/sie jetzt in Genf, Basel oder Lugano lebt. Wir stimmen ja auch im Turnus von
ca. vier Monaten über nationale Themen ab (die berühmte direkte Demokratie, das eint uns!)

Die Arbeit geht uns Übersetzer:innen in der Schweiz nicht aus, und der Staat lässt sich
die Mehrsprachigkeit des Landes etwas kosten!

Aber wie steht es um das Theater?

Die meisten werden den berühmten Begriff „Röstigraben“ schon einmal gehört haben, den Ausdruck für die Sprach- aber auch Kulturgrenze zwischen dem deutsch- und französischsprachigen Teil der Schweiz. Und einen „Polentagraben“ zum Tessin gibt es natürlich auch.

Hinsichtlich des Theaterverständnisses orientiert sich jedoch jede Sprachregion am Nachbarn, der dieselbe Sprache spricht. Die Romands interessiert das französische Theater,
das Interesse der Deutschschweizer richtet sich gen Norden und wohin die Ticinesi schauen, versteht sich von selbst. Um dieser Tendenz etwas entgegen zu wirken oder anders ausgedrückt, um das Interesse jenseits des Röstigrabens zu wecken oder „zu erwecken“ (im Schweizerdeutschen ist der Begriff: „ennet em Grabe“ sehr geläufig, also „auf der andern Seite des Grabens“), entstand vor bald zehn Jahren das Schweizerische Theatertreffen. In Anlehnung an das Berliner Theatertreffen werden alljährlich von einer Jury „die sieben besten“ Produktionen des Jahres aus allen Landesteilen ausgewählt.  Das Festival findet jeweils im Mai statt und wird jedes Jahr in einer anderen Stadt und in einem anderen Landesteil ausgetragen.

Und hier kommt die Übertitelung ins Spiel. Jedes Stück wird in mindestens eine andere Landessprache übertitelt. Das heißt, eine Einladung aus Zürich, Basel oder Bern wird französisch übertitelt, die Einladung einer Gruppe aus Lausanne oder Genf ins Deutsche, etc.  Während der dritten Ausgabe in Genf 2016 wurde zudem alles noch ins Englische übertitelt. Die vierte Ausgabe fand im Tessin statt, da wurden alle sieben Stücke entsprechend in
zwei Sprachen übertitelt, jedes Stück war also in den drei Landessprachen verständlich. (Anm. Rätoromanisch wird nur im Kanton Graubünden gesprochen, jedoch von einem sehr kleinen Prozentsatz der dortigen Bevölkerung, weshalb in diese Sprache nicht übertitelt wird. Hinzu kommt, dass jede:r,  die Rätoromanisch spricht, in der Schule Deutsch
oder Italienisch lernt.)

Neben diesem Festival gibt es zwar immer wieder Einladungen zwischen Theatern der Romandie und der deutschen Schweiz – aber leider viel zu selten.

Ausserdem werden häufig Personen aus Deutschland als Theaterleitung eingestellt. Hier braucht es dann oft eine längere Zeitspanne, um die Bedeutung und den Umgang mit der Mehrsprachigkeit in der Schweiz zu verstehen und in die Theaterarbeit zu integrieren. Das hat nicht selten Auswirkung auf Inhalte und Austausch und lässt die Frage offen, wie mit diesen Parametern eine mehrsprachige Kultur erhalten werden kann und Sprachregionen selbstbewusst miteinander kommunizieren können.

Zum Schluss soll noch die zweisprachige Stadt Biel/Bienne als spezielles Exempel erwähnt werden. Es gibt in Biel das französischsprachige Theater Nebia und das deutschsprachige Theater TOBS (Theater Biel/Solothurn).

Erfreulicherweise zeigen beide Theater pro Saison vier bis fünf Produktionen übertitelt in der jeweils anderen Sprache.

In den zwei größten Theater Basel und Zürich herrscht wie überall in den Großstädten die englische Übertitelung vor.

Sprachen sind, wie man sieht, allgegenwärtig im Leben eines/einer Schweizer:in. Dies ist sehr bereichernd und öffnet wohl auch den Kopf und die Seele für andere Kulturen.

Exkurs #2: Individualisierte Zugänglichkeit

Neue Sichtweisen & Möglichkeiten 

von Anna Kasten + David Maß

Das Thema Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderung gewinnt endlich immer mehr Gewicht auch in den Darstellenden Künsten. In den letzten Jahren haben sich dabei verschiedene Optionen für die sehr unterschiedlichen Bedürfnisse entwickelt. Aufgabe der Kunst sollte es sein, Brücken zu bauen, kulturelle Angebote sollten für alle Menschen regelmäßig verfüg- und erlebbar sein. Die Vision lautet also, dass es bei möglichst vielen Theater- und Opernproduktionen regelmäßig zu folgendem Szenario kommen kann: eine blinde Person sitzt neben einer schwerhörigen Person, die neben einer fremdsprachigen Person sitzt, die neben einer tauben Person sitzt, die neben einer Person mit Leseschwierigkeiten sitzt… und alle können dem Bühnengeschehen folgen.

Dabei stellt sich die Frage, ob es nicht möglich wäre, für jede:n einen persönlichen Kanal bereitzustellen, um damit bestmöglich auf die individuellen Bedürfnisse eingehen zu können. Klassische Übertitel, durch Videoprojektion oder auf LED-Screens, haben mittlerweile ja schon in fast allen großen Theatern und auf Festivals ihren Platz gefunden. Immer wieder gibt es aber auch künstlerische Anforderungen sowie architektonische bzw. infrastrukturelle Herausforderungen, die einer komplexeren technischen Umsetzung bedürfen. So können beispielsweise weitere Screens im Zuschauerraum installiert werden, damit die ersten Reihen gut lesen können, und teilweise müssen auch die oberen Ränge nochmal separat versorgt werden.Diese klassischen Übertitel, egal ob fremdsprachig oder deskriptiv, also inklusive der Beschreibungen von Geräuschen und den Rollennamen der Spieler: innen, sind für alle sichtbar, können aber nicht die Bedürfnisse aller erfüllen. Für alle sichtbar, können meist nur eine oder maximal zwei Sprachen angezeigt werden.

Als Erweiterung für Menschen mit Behinderung oder mit besonderen Bedürfnissen können zusätzliche Mobile Devices wie Smartphones, Tablets oder Datenbrillen zum Einsatz kommen, mit denen jede:r Zuschauer:in persönlich adressiert werden kann. Das kann außerdem interessant sein als Zusatzlösung für spezielle Bühnenbilder oder Zuschauersituationen, die beispielsweise bifrontal oder im öffentlichen Raum angeordnet sind und in denen eine klassische Projektion nicht möglich ist.
Die Smartphones oder Tablets laufen parallel zu den für alle projizierten Titel, nur dass dort kann jede:r Zuschauer:in individuell die passende Übertitelspur für sich wählt. Es können genauso weitere Sprachen angeboten werden, wie verschiedene Ebenen von deskriptiven Übertiteln. Taube Menschen benötigen mehr Information als schwerhörige Menschen, dazu kann auch eine Version in leichter Sprache vorbereitet werden. Zudem ist es möglich, eine Spur mit vorab aufgezeichneten Gebärdensprachvideos anzuzeigen. Auch Audiodeskription für blinde Menschen kann über diesen Kanal abgerufen werden.

Sinnvoll ist es, diese Angebote zu kombinieren und in das Gesamttheatererlebnis einzugliedern. Beispielsweise sollte die Wegeführung im und zum Theater für alle deutlich gekennzeichnet sein, ebenso wie es wichtig ist, dass geschultes Vorderhauspersonal mit tauben Menschen mindestens rudimentär kommunizieren und die essentiellen Fakten vermitteln kann. Auch das Angebot einer Bühnen- und Tastführung vor Beginn der Vorstellung ist für blinde Menschen sehr empfehlenswert und ergänzt das Angebot einer möglichst umfassenden und Zugänglichkeit. Eine weitere Möglichkeit neben der Nutzung von Tablets und Smartphones sind sogenannte Datenbrillen, in denen die jeweiligen Übertitel in 7-10m Entfernung angezeigt werden. Die Titel positionieren sich hier direkt in die Sichtlinie und bewegen sich parallel zu den Bewegungen des Kopfes und erscheinen so jeweils direkt an der Stelle auf der Bühne, zu der sich die Zuschauer:innen hinwenden. Gerade die Integration von vorab aufgezeichneten Videos mit der Übersetzung in Gebärdensprache ist sehr beeindruckend, da die Dolmetscher:innen wie Hologramme erscheinen und von den Zuschauer:innen individuell in Größe und Position einstellbar sind.Grundlegend und entscheidend ist bei allen Formen der Zugänglichkeit und dem Abbau von Schwellen im Theater und der Oper, dass die Zielgruppen aktiv eingebunden werden in die Ausarbeitung und Weiterentwicklung des Angebots und in den Häusern selbst ein Prozess angestoßen wird, der in einer Kultur mündet, bei der sich Jede:r willkommen fühlt.

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